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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Manche waren betrunken, andere plünderten. Alle winkten uns zu, grüßten uns, jubelten. Sie waren das Treibgut Europas – aber sie waren frei. Diese Flut führte auch viele deutsche Zivilisten mit sich, die im Angesicht der Niederlage von Panik ergriffen waren. Sie saßen auf Bauernwagen, auf Fuhrwerken und Einspännern, auf jeder Art von Gefährt, das sie tragen konnte. Sie flohen – die ganz Alten und die ganz Jungen, die Kranken und die Verkrüppelten. Sie waren in den Strudel des Zusammenbruchs ihrer Nation geraten und ein Teil der umherziehenden Massen Europas geworden.
    Gegen 16.00 Uhr bewegte sich die Patrouille auf Terpitz zu. Nicht weit vom Elbufer hielten wir auf einer Hügelkuppe an, um einen Überblick über das Gelände zu gewinnen. Wir glaubten, den russischen Brückenkopf von dort aus sehen zu können.
    Jedermann war plötzlich erregt. Durch Feldstecher machten wir verschiedene Kolonnen aus, die sich über die sanften Erhebungen jenseits von Liebschütz nordwärts bewegten. Wir befragten einige versprengte deutsche Soldaten. Sie gaben uns die Auskunft, daß es deutsche Truppen seien, die sich nach Norden zurückzögen, keine Russen.
    Weiter östlich erreichten wir Clanzschwitz. Inzwischen waren die Landstraßen sehr staubig geworden. Die Luft hatte sich erwärmt, dennoch wehte ein kühler Wind. In diesem Ort wurde unser Konvoi von schnellen Jeeps eingeholt. Wir hielten an. Die Männer in den Jeeps gehörten zur Patrouille von Lieutenant Kotzebue. Sie überraschten uns mit der Neuigkeit, daß Kotzebue am Morgen einen ersten Kontakt mit den Russen aufgenommen habe und er sich selbst noch auf dem östlichen Elbufer befinde, gar nicht weit von hier entfernt.
    Craig gab sofort das Zeichen zum Aufbruch. Wir rasten aus dem Ort in Richtung Leckwitz und Elbe. Nachdem unsere Jeeps das letzte Haus hinter sich gelassen hatten und das führende Fahrzeug sich ungefähr einhundertfünfzig Yards von der östlichen Ortsgrenze entfernt befand, kam die Kolonne in einer Wolke von aufgewirbeltem Staub zum Stehen. Alle sahen mit offenen Mündern nach rechts. Dort, auf einer baumgesäumten, parallel verlaufenden Landstraße, die von Zausswitz herführte, galoppierte eine Reiterabteilung nach Westen. Wir stießen nur ein einziges Wort des Erstaunens aus: «Russen!»
    Die Reiter erblickten offenbar zur selben Zeit die Jeeps. Sie ritten auf uns zu. Unter den Kavalleristen befanden sich einige Soldaten auf Fahrrädern und Motorrädern. Wir stürzten alle aus den Jeeps. Die Zeit stand still, als der erste Russe auf uns zukam.
    «Ich dachte, der erste Bursche würde nie bei uns ankommen», erzählte mir später ein GI. «Meine Augen starrten wie gebannt auf sein Fahrrad. Er schien größer und größer zu werden und gleichzeitig langsamer und langsamer. Ein paar Yards vor mir warf der Mann das Rad zur Seite, salutierte, grinste und streckte mir die Hand entgegen. Dann waren auch die übrigen schon da.»
    Das war das Treffen. Es fand um 16.45 Uhr statt. Die Sonne verblaßte bereits. Es war ein klarer Tag geworden. Jeder lächelte. Keinem fiel etwas Nettes ein, das er hätte sagen müssen. Die Amerikaner sagten: «Amerikanski.» Die Russen sagten: «Russki.» Das war’s auch schon. Es war ein historischer Augenblick, und jeder wußte das. Aber keiner brachte einen unsterblichen Satz zustande. [...]
    Dann boten die Russen uns an, uns zu einem Gefangenenlager für alliierte Soldaten zu bringen, das vor einigen Tagen befreit worden war. [...] Als die Jeeps das Lagertor passierten, war es schon fast dunkel, doch nicht so finster, daß verborgen geblieben wäre, daß wir Amerikaner waren. Die uns zuerst erkannten, riefen überrascht: «Mein Gott! Yanks!» Während die Jeeps durch die Lagerstraßen fuhren, wurden Begrüßungsrufe laut und steigerten sich zu Donnerstärke. Amerikaner, Briten, Franzosen, Jugoslawen, alliierte Offiziere und Soldaten aus allen Nationen jubelten uns zu, schrien und weinten ihre Freude heraus. [...] Sie waren wild darauf, nur «Hello!» zu sagen und Hände zu schütteln und einfach die Männer aus den Vereinigten Staaten zu berühren.
    *
    Der Soldat Ernst-Günther Henken *1921
Rheinsberg
    Gestern Abend zur Kompanie gestoßen, von der nur rund 50 Mann da sind. Die Front rückt schon wieder heran. Der Führer in Berlin, welches scheinbar eingeschlossen ist.
    In Rheinsberg SS-Heini Himmler gesehen.
    Dr. Felix Kersten 1898–1960
Stockholm
    Gestern und heute Besprechung bei Excellenz Günther. Ich berichtete

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