Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
über die erneuten Verhandlungen mit Himmler zwecks Vermeidung eines skandinavischen Krieges und etwaiger Kapitulation der deutschen Verbände in Norwegen. Auf Günthers Wunsch bestätigte ich das schriftlich.
Ferner teilte ich ihm den Wunsch Himmlers mit, die Kampfhandlungen gegen Westen einzustellen, sie aber gegen die Sowjets fortzusetzen. Günther meinte, es sei unmöglich, daß Bernadotte ins Hauptquartier fahre, die Mitteilung müßte über das schwedische Außenministerium geleitet werden.
Später erfuhr ich, daß auf Grund der von mir erlangten Befehle Himmlers die Lage sich an allen wesentlichen Punkten entschärft hatte, ein Krieg in Skandinavien vermieden und die späteren Besprechungen und technischen Abwicklungen durch andere Stellen und Personen mit Erfolg durchgeführt werden konnten.
John Colville 1915–1987
London
Aus Stockholm traf ein Telegramm ein, in dem es heißt, daß Himmler vor den westlichen Alliierten kapitulieren wolle. Hitler liegt angeblich nach einer Gehirnblutung im Sterben. Dies kann ein Versuch in letzter Minute sein, uns von den Russen zu trennen. Der Premierminister berief sofort eine gemeinsame Sitzung des Kabinetts und der Stabschefs ein und informierte Stalin. Jedenfalls beweist das Telegramm, so meinte Wilson, «daß sie fertig sind».
Winston Churchill 1874–1965
London
persönliche und streng geheime botschaft
an marschall stalin
Was die Regierung Seiner Majestät betrifft, kommt nichts anderes als eine bedingungslose Kapitulation gegenüber den drei Großmächten gleichzeitig in Frage. Nach unserer Meinung sollte Himmler mitgeteilt werden, daß sich die deutschen Streitkräfte, als einzelne Soldaten oder in Formationen, überall den alliierten Truppen oder den am Ort befindlichenalliierten Vertretern ergeben sollen. Solange dies nicht geschieht, wird der Angriff der Alliierten von allen Seiten und auf allen Kriegsschauplätzen, wo der Widerstand anhält, mit aller Macht fortgesetzt.
Josef Stalin 1879–1953
Moskau
persönliche und geheime botschaft
an den premier minister, herrn w. churchill
Vielen Dank für Ihre Botschaft vom 25. April über Himmlers Absicht, an der Westfront zu kapitulieren.
Ich halte Ihren Vorschlag, Himmler mit der Forderung nach bedingungsloser Kapitulation an allen Fronten, einschließlich der sowjetischen, entgegenzutreten, für den einzig richtigen. Da ich Sie gut kenne, habe ich nie daran gezweifelt, daß Sie genau in dieser Weise handeln würden. Bitte handeln Sie im Geiste Ihres Vorschlags, und was die Rote Armee betrifft, so wird sie im Interesse unserer gemeinsamen Sache weiter nach Berlin vorwärts drängen.
Lagebesprechung
Berlin/Führerbunker
Hitler: Wenn das wirklich stimmt: Ich habe eine Nachricht bekommen, daß die Besprechungen zwischen Eden und Molotow anscheinend keinen Kompromiß ergeben haben. Die Russen verlangen das gesamte Gebiet. Damit wäre für England der ganze Krieg verloren. England hat diesen Krieg begonnen, weil ich verlangt habe: Korridor nach Ostpreußen und Danzig mit Abstimmung unter alliierter Kontrolle. Und jetzt sollen sie erlauben, daß eine Macht, die jetzt schon praktisch ganz Europa beherrscht und sich bis nach Ostasien ausdehnt, noch weiter vorrückt?
*
Renata Laqueur *1919
Niederlausitz/ Transport
aus KZ Bergen -Belsen
Um halb sechs am nächsten Morgen war ich wieder hoch und wollte organisieren gehen. Wir hatten nichts mehr. Als ich noch einmal zu unserem Wagen zurückkehrte, da ich etwas vergessen hatte, hörte ich aufgeregtes Debattieren und laute freudige Rufe. Eine Frau kam mir heftig gestikulierend entgegen und berichtete atemlos vom Eintreffen der Russen. Die deutsche Transportleitung sei gefangengenommen, näheres noch nicht bekannt.
Ich konnte es nicht glauben, zu oft hatte J. P.A. uns mit «sicheren» Meldungengenarrt. Ich mußte es selbst sehen, lief an der Bahn entlang, bis ich an die Straße kam, auf der in hundert Meter Entfernung ein Soldat stand. Zögernd lief ich weiter, erkannte eine grau-grüne Uniform, eine lange Joppe, ein Gewehr – nichts besonderes. Dann mußte er meine Schritte gehört haben. Er drehte sich zu mir, ich sah sein Gesicht, seine Mütze und den roten Stern. Es stimmte! [...]
In dem Dorf, Tröbitz, herrschte ein unglaubliches Chaos. Jetzt gab es keine Zweifel, überall russisches Militär, russische Fahrzeuge, und eine Kolonne schwerer Panzer rollte dröhnend durch die Hauptstraße. Die Russen hatten das Dorf um 2 Uhr in der Nacht erreicht, und der
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