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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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durchfeuchte aber mein ausgezogenes Unterhemd und lege es mir auf das Gesicht. Es wirkt wie ein erfrischender Luftfilter. Ich bemerke auch, daß ganz dicht am Boden die Luft etwas besser ist. Unter der Tür kommt ein frischer Luftzug herein. Nachmittags Suppenempfang. Ich nehme für meine beiden nächsten Nachbarn ohne Gefäße die Suppe mit. Der nette, hustende Mann, auf dem ich meistens liege, verweigert mein Angebot, die Suppe mit ihm zu teilen. Er verrät mir, daß er Tuberkulose hat und sich große Sorgen um mich macht. Ich schütte ihm Suppe in die gewölbte Hand, so kann er sie schlürfen. Alle Augenblicke kommt ein Russe an die Kellertür und brüllt irgendwelche Namen, die er weder richtig lesen, noch aussprechen kann. Hans Gohngheim für Hans Hohnheim usw. Ab und zu ist einer der Aufgerufenen bei uns dabei. In der Hoffnung, aus dieser Hölle erlöst zu werden, folgt er freudig. Nach Stunden kehrt er blutig geschlagen wieder zurück, nicht mehr in der Lage zu sprechen; ein Kiefer scheint gebrochen, ein Auge ist zugeschwollen. Der nächste, der aufgerufen wird, geht schweren Herzens mit und erscheint gar nicht mehr wieder. Ein anderer kommt unversehrt zurück. Wie die Mächtigen es wollen. Nachts ist es besonders fürchterlich. Ständig werden Leute zum Verhör geholt. Weil viele schlafen, schreien sie und blenden mit starkenScheinwerfern in den Keller. Sie wollen sicher sein, daß keiner schläft und sie nicht hört. Und weil auch das nichts hilft, müssen jedesmal alle vom Boden aufstehen, wenn Namen verlesen werden. Die Aufrufe an den anderen Kellertüren hören wir auch. Eine zusätzliche Tortur, wenn sich das zehn- bis zwanzigmal wiederholt. Natürlich kann mein Name gar nicht verlesen werden, denn ich stehe ja auf keiner Liste. So stelle ich mir vor, daß ich in diesem Höllenloch für immer bleiben werde.
    *
    Der US-Kriegsberichterstatter
    Wiliam J. Fox
an der Elbe
    Der Morgen war noch jung und die Luft kalt, als sechs Jeeps von der E- und der H-Kompanie sich mit zwei anderen Jeeps am Sammelplatz trafen. Der eine war der Funk-Jeep vom Regimentsstab, der andere kam vom Stab des V. Korps. [...]
    Die Patrouille folgte einer Route auf verzweigten, kurvenreichen Neben- und Hauptstraßen über Gornewitz, Denwitz und Fremdiswalde nach Roda. Bei der Annäherung an jede Ortschaft drosselten wir die Geschwindigkeit und führten sorgfältige Aufklärung durch; erst dann fuhren wir hinein. Es waren kleine, friedliche Landgemeinden, in denen fast noch alles schlief, als wir sie mit unseren Jeeps passierten. Andere amerikanische Patrouillen hatten zuvor bereits diese Dörfer erkundet; von den meisten Häusern hingen weiße Fahnen herab und flatterten im Wind. Hier und dort steckte ein neugieriger junger Bursche den Kopf aus einem Fenster des Obergeschosses heraus. Kleine Gruppen Dorfbewohner sahen teilnahmslos zu, wie die Amerikaner sich lautlos durch die Straßen bewegten. Es gab keinen Widerstand. Eine unwirkliche Ruhe herrschte. An diesem frühen Aprilmorgen schien der Krieg weit entfernt zu sein von diesen grauen Häusern und den einsamen, gewundenen Landstraßen.
    Das Wetter blieb kalt, der Nebel löste sich nicht auf. Die Jeeps arbeiteten sich langsam, mit großer Vorsicht voran. Wir hatten ein waches Auge auf alles um uns herum. Als wir Roda verließen, befahl Major Craig, nach Wermsdorf weiterzufahren. Aus der Ferne sahen wir ein riesiges rotes Kreuz vom Dach eines Gebäudes leuchten, das ein Krankenhaus in der Stadt zu sein schien.
    Wermsdorf erreichten wir um 09.15 Uhr. Nachdem wir ins Zentrum der Stadt gefahren waren, steuerten einige Jeeps direkt das Krankenhausan, während die anderen die Lage im allgemeinen erkundeten. Französische, belgische, russische und polnische Zwangsarbeiter, die in der Landwirtschaft eingesetzt gewesen waren, zeigten sich. Bestrebt, uns zu helfen, wiesen sie uns die Verstecke deutscher Soldaten [...]
    Gegen 11.00 Uhr verließ die Patrouille Wermsdorf und durchfuhr das zwischen den Forsten Wermsdorf und Hubertusburg gelegene Waldstück. Unsere Kolonne machte halt am nördlichen Waldrand. Dort nahmen wir eine komplette deutsche Sanitätskompanie gefangen, die keinerlei Widerstand leistete. Trotzdem bedeutete das weiteren Zeitverlust, denn viele von uns fieberten schon ungeduldig einem baldigen Treffen mit den Russen entgegen. [...]
    Um 15.00 Uhr verließen die Jeeps Calbitz. Überall sahen wir Ströme von befreiten Zwangsarbeitern und ehemaligen alliierten Kriegsgefangenen.

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