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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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haben noch nicht einmal ein Hemd auf dem Leib. Sind nur mit einer Decke zugedeckt. C harlottchen macht Morphiumspritzen.
    Es ist eine körperliche Qual, knieend bei diesen primitiven Verhältnissen zu verbinden. Kein bißchen Wasser. Ich bin bis auf die Haut durchgeschwitzt. Überall rufen die Verletzten. Wir sollen uns beeilen, da der Zug auf den Bahnhof gefahren und die Strecke freigemacht werden soll. Diese Stunden von 3–8 Uhr haben mir aufs eindringlichste das Bild völligen Zusammenbruchs vor Augen geführt. Keine Führung mehr. Wie diese Verwundeten, so wird das ganze Volk dem Untergang, dem Jammer und Elend zugeführt. Der Zusammenbruch im Weltkrieg ist im Vergleich dazu ein Kinderspiel gewesen.
    Der Außenminister v. Ribbentrop ist in Wittstock, im Deutschen Haus abgestiegen. Wittstock ist demnach zu einer Insel scheinbarer Sicherheit geworden. Wie ich später von Hoffmann erfahre, hat er sich mit Frank und dem Leutnant des Wehrertüchtigungslagers fast eine Stunde lang unterhalten. «Außenpolitik könne er zur Zeit nicht machen.» Also hat er den dreien nur Banalitäten erzählt. Es sei noch nicht alles verloren. Alle Gerüchte über Differenzen der Alliierten, Annäherung Deutschlands an Amerika, all die Gerüchte, die anfangs der Woche umgingen, sind erfunden und erlogen. Mit der Wlassow-Armee ist es nichts. Timoschenkos Armee ist erfunden: «1/4 Jahr lang noch müßte das deutsche Volk durchhalten, dann bestehe die Möglichkeit einer Rettung. Und doch wird Deutschland nicht untergehen!»
    Bertram Bietz
Marsch des KZ Sachsenhausen
    Richtung Mecklenburg
    Die Kolonnen marschieren nicht mehr, sie schieben sich nur noch vorwärts. Für die Schwachen, Zurückbleibenden ist die Frage des «Wie enden» gelöst – Genickschuss! Nur eine Waffe der Abwehr bleibt uns – langsam treten – lasst uns lange zusammenbleiben in der letzten Stunde zwischen Freiheit und Tod!
    Die kräftigsten Arme werden zum Sterbelager der Schwachen und Siechen. Solidarität! – noch einmal besteht sie ihre Bewährungsprobe.
    Herzberg – Altruppin – fliehende Wehrmachtskolonnen, Panzer – Autos – Flüchtlingstrecke – Pferdekadaver am Strassenrand und die Gemordeten von Sachsenhausen, das ist das Bild am 25. April 1945.
    Fast Schritt um Schritt liegen die stummen Ankläger im gestreiften Ehrenkleid.
    Mütter, Väter, Bräute, Brüder, Schwestern, – wem galt Euer letzter Gedanke. Oh’ wenn Ihr wüsstet in Dortmund, Paris, Utrecht, Brüssel, Milano und Belgrad, was in diesen Tagen und Stunden geschieht. – Oh’ Deutschland! – Wir Hochverräter, Wehrmachtzersetzer, Empörer und Staatsverbrecher, wir tragen dennoch die ... [fehlt]
    Ernst Niekisch 1889 –1967
Zuchthaus Brandenburg
    Das Geschützfeuer näherte sich von Tag zu Tag. Die Beschießung von Brandenburg nahm ihren Fortgang, die Rote Armee drang über Brandenburg hinaus gegen Görden vor und besetzte die Landesanstalt Brandenburg, eine Heil- und Pflegeanstalt, die zehn Minuten von der Strafanstalt entfernt lag. Die deutschen Truppen standen westlich von der Strafanstalt, so daß sich diese im Niemandsland befand. Über die Strafanstalt hinweg sausten die Geschosse. Offensichtlich handelte es sich beiderseits nur um Spitzen, die Sowjets schienen den Nachschub abzuwarten. Der Direktor der Anstalt änderte plötzlich seine Haltung. Er bildete einen Gefangenenrat, der in allen Angelegenheiten um seine Meinung angegangen wurde. Jetzt spielte sich der protestantische Pfarrer in den Vordergrund. Man hatte den Eindruck, daß er sich an die Gefangenen anbiedere und den Direktor in den Hintergrund zu schieben trachte. Der Gefangenenrat verlangte, daß den Gefangenen die Zivilkleider und das Gepäck ausgehändigt würden. Mit dieser Forderung indes drang er nicht durch. Am 25. April wurde aber verfügt, daß die Zellen der politischen Gefangenen tagsüber nicht mehr verschlossen werden sollten.
    Lagebesprechung
Berlin/Führerbunker
    Hitler: Ich glaube, es ist der Moment gekommen, wo die anderen sowieso aus Selbsterhaltungstrieb diesem maßlos gewordenen proletarisch- bolschewistischen Koloß und Moloch entgegentreten werden. Wenn ich heute hier feige davonliefe, so wäre die Folge, daß die anderen versuchen, in Süddeutschland eine Art neutrale Linie zu bilden, und das wäre alles. Der Nationalsozialismus wäre somit beseitigt und das Deutsche Reich ebenfalls. Schlage ich hier erfolgreich und halte ich die Hauptstadt, so wächst vielleicht die Hoffnung bei den Engländern und

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