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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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eigentlichen Bunker hinabführte. Nach meiner Meldung wollte ich ihm eine Erklärung für mein bisheriges Verhalten abgeben. Er winkte aber ab und sagte nur: «Nachher – jetzt will ich Sie erst dem Führer vorstellen.» Wir stiegen die Treppen hinab und kamen in den großen Konferenzraum. Dicht an der Eingangstür stand ein großer Tisch. Auf seiner Platte saß mit herunterbaumelnden Beinen Reichsminister Goebbels. Er unterhielt sich mit General Krebs, dem Chef des Stabes, der am Kopfende des Tischessaß. Bei unserem Eintritt kam Goebbels wie elektrisiert sofort auf mich zu, fragte höchst interessiert nach meinen Soldaten, nach unserer Stärke, Bewaffnung usw. Plötzlich brach er dann aber ab und sagte zu mir: «Wollen Sie sich bitte beim Führer melden.»
    Ich hatte, während Goebbels mich befragte, am Ende des Raumes unter einem Türbogen, der in einen weiteren Raum führte, einen alten Mann in ziviler Kleidung stehen sehen und war nun zutiefst betroffen, daß es sich um Hitler selbst handelte. Ich brachte meine Meldung an, Hitler reichte mir die Hand und sagte als erstes: «Sie sind hier in die Hölle gekommen!» Dann folgte so etwas wie eine kurze Befragung. Was Hitler aber sagte, klang so fremd und zusammenhanglos, daß ich völlig ratlos war. Ich wußte bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht, wie sehr Hitler damals schon gesundheitlich am Ende war.
    Voß versuchte offensichtlich, den Eindruck, den ich gewinnen mußte, ein wenig zu verwischen, indem er selbst in die Fragen und Antworten eingriff. Mir konnte aber trotzdem der völlige Zusammenbruch Hitlers nicht verborgen bleiben. Sein Körper war in sich zusammengesunken, Hände und Beine zitterten sehr stark, und vieles von dem, was er sagte, klang so, als ob er im Fieberwahn spräche. Bruchstücke davon sind mir bis heute gegenwärtig. So kam häufig die Wendung: «Na, diese Berliner, diese Berliner!» oder: «Man müßte eine Hanna Reitsch haben!» Ich wußte damals ja noch nichts von den Ereignissen, die sich inzwischen dort unten abgespielt hatten und konnte mir keinen Vers auf das machen, was ich so bruchstückartig herausgestoßen zu hören bekam. Hitler entließ mich dann, indem er mir nochmals die Hand reichte, und ich stieg mit Admiral Voß wieder die Bunkertreppe hinauf. Obwohl ich zutiefst erschüttert war, habe ich nichts von meinem Eindruck zu Voß gesagt. Auch er erwähnte mit keinem Wort den Zustand Hitlers. Ich merkte allerdings, daß er meine Betroffenheit wohl zur Kenntnis nahm. Er machte dann einige Andeutungen, daß der Plan bestanden habe, noch größere Verbände der Kriegsmarine nach Berlin hereinzuschleusen. Dieser Versuch sei gescheitert, wir seien die einzigen, denen der Einflug noch gelungen sei.
    Wenige Stunden, nachdem ich bei Adolf Hitler gewesen war, kam ein Abgesandter des Reichsjugendführers Axmann zu mir. Er sollte mit mir vereinbaren, wie man einen Lehrgang der Hitlerjugend, der in Potsdam stattgefunden hatte, dort aber von der raschen Einschließung Berlins durch die Rote Armee überrascht und nach Berlin in das Palais Heß an der Wilhelmstraße geführt worden war, zusammen mit meinen jungen Offiziersanwärtern zur Verteidigung der Reichskanzlei und des Führerbunkerseinsetzen könne. Bevor ich eine Übernahme zusagte, bat ich darum, mir die Jungen ansehen zu können, und ich war erschüttert, als ich zwölf- bis 15jährige Kinder vor mir sah.
    Ich habe deren Einsatz abgelehnt, kann aber bis heute nicht vergessen, wie diese Jungen vor mir standen und immer wieder baten: «Herr Kapitänleutnant, nehmen Sie uns doch bitte! Wir können und wir wollen für den Führer kämpfen!» Sie sind dann später wohl von SS-Brigadeführer Krukenberg eingesetzt worden, und durch Zufall wurde ich Zeuge, wie am 30. April Goebbels diese Jungen noch einmal beim Essen um sich versammelte, um sich von ihnen zu verabschieden und um viele von ihnen, die sich im Einsatz bereits besonders ausgezeichnet hatten, mit dem Eisernen Kreuz zu dekorieren.
    *
    Lothar Loewe *1929
Berlin
    Während am Hermannplatz in Neukölln eine Einheit der Hitlerjugend und französische Freiwillige der Waffen-SS das Kaufhaus Karstadt verlustreich verteidigten, erhielt unser Stab des Festungs-Pak-Verbandes am frühen Abend Befehl, den Gefechtsstand in den Tiefbunker des Oberkommandos des Heeres am Fehrbelliner Platz zu verlegen. In rasender Fahrt, unter heftigem Artilleriefeuer verließen wir mit unseren Fahrzeugen Tempelhof. Auf der Gneisenaustraße kurvten wir um

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