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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Straße weiter in die X-Stadt hinein. Auf dem Marktplatz hatte eine Kompanie «Volkssturm» einen Schützengraben, 1 m tief, ausgehoben und besetzt, mit Schuß feld von kaum 100 m bis zu den gegenüberliegenden Häusern. Vom Feinde wußte man nichts, als daß ein Angriff auf die Stadt erwartet werde. Ich setzte dem Kompanieführer das Unsinnige seiner Maßnahme auseinander, ließ die Kompanie sammeln, hielt eine kurze Ansprache und befahl, daß der Kompanieführer mich zum Kommandanten der Stadt führe.
    Auf dem Wege dorthin sah ich an verschiedenen Stellen Geschütze aller Art (Feldhaubitzen, Infanterie-Geschütze, 3,7 cm Flak) in Höfen untergezogen aufgeprotzt, gegen Fliegersicht offensichtlich gedeckt, dabei die Zugmittel und Mannschaften, untätig herumstehen. Einzelne Schüsse einer feindlichen Batterie schienen dem Stadtrand zu gelten.
    Ich fand den Kommandanten in einem abgelegenen Hause bei der Befehlsausgabe an etwa 10–12 Offiziere, die um ihn versammelt waren. Er war ein aktiver Pionier-Offizier, den mein Erscheinen nicht nur in Erstaunen, sondern auch in Verwirrung versetzte. Er meldete mir, daß er den Abmarsch noch besonders und die Sprengung der Brücke am Osteingang befohlen habe, weil der Feind im Begriff sei, die Stadt anzugreifen. Ich schrie ihn nun an, ob er von Sinnen sei, auf einige Schüsse Fernfeuer auszureißen, was er vom Feind gesehen habe, wo seine Gefechtsaufklärung angesetzt sei, was sie gemeldet habe, und wozu er die Kanonen habe, die in den Höfen der Stadt überall herumständen? Ich holte die ganze Gesellschaft aus dem Hause, ging mit ihnen an den Ausgang der Stadt, wo der Feind angeblich angreifen sollte; es war nichts zu sehen außer einigen Geschoßeinschlägen. Unter meiner Aufsicht wurde der Befehl zur Verteidigung gegeben, die Geschütze in Stellung gebracht, und der Herr Major bezog einen Gefechtsstand, wo er die weite, offene Ebene, auf der kein Feind sichtbar war, selbst übersehen konnte.
    Ich eröffnete ihm, daß ihn die Aufgabe der Stadt den Kragen kosten würde [...], daß ich am nächsten Tage ihn wieder besuchen werde und eine wohlorganisierte Verteidigung vorzufinden erwarte. Er sollte dem Gen. Holste sofort durch Motorradfahrer mein Eingreifen und meine ihm erteilten Befehle melden. Ich fuhr die von dem mutigen Kommandanten vorgesehene Rückzugsstraße entlang und traf dort kilometerlange Kolonnen der schon im Abmarsch befindlichen Formationen aller Art und die Trosse, ganze Fahrzeugkolonnen, hoch beladen mit Gewehren, Masch.-Gewehren, Munition usw. Alles wurde von mir angehalten und in die Stadt zurückgeschickt, unter Führung einiger älterer [Feld-] Gendarmerie-Offiziere, die ich mir gegriffen hatte. [...] Am Spätnachmittag kehrte ich in unser Lager Neu-Roofen zurück und bereitete meinen Flug nach Berlin für die kommende Nacht erneut vor. Da Jodl den Führer telefonisch bereits unterrichtet hatte, verzichtete ich angesichts meines Fluges nach Berlin auf persönlichen Anruf. Leider wurde mir aus der Reichskanzlei nunmehr die Landung auf dem Flugplatz Gatow verboten, weil dieser zeitweise schon unter feindlichem Geschützfeuer lag. Es war deshalb die Heerstraße zwischen Charlottenburger Tor (Techn. Hochschule) und Brandenburger Tor als Start- und Landeplatz für Flugzeuge eingerichtet worden, und hier ab Dunkelwerden der Einflug von Transport-Ju’s mit Munition aller Art, die von der Reichskanzlei bzw. dem Kommandanten von Berlin angefordert war, und außerdem die Landung von 2 SS-Kompanien, die sich freiwillig gemeldethatten, vorgesehen. Mein Einflug war deshalb auf die Zeit nach Mitternacht angesetzt, so daß ich noch vor Hellwerden wieder starten konnte. Ab 24 Uhr wartete ich auf dem Flugplatz Rheinsberg auf Startbefehl. Statt dessen erfolgte aber eine kategorische Absage, weil durch Brand in Berlin eine derartige Rauchschicht den Tiergarten einhüllte, daß jede Landung unmöglich geworden war.
    Es half mir auch ein persönlicher Anruf nichts; es wurde mir außerdem bedeutet, daß infolge dieses Rauchschleiers schon zahlreiche Maschinen Bruchlandung gehabt hätten, die Landebahn also nicht frei sei. Mein Vorhaben war also gescheitert. Als ich nach Rückkehr ins Lager erneut mit der Reichskanzlei verhandelte, wegen Einflug bei Tagesanbruch, wurde mir das Verbot des Führers persönlich übermittelt, nachdem am Abend vorher der Gen.Oberst von Greim vor der Landung noch bei letztem Tageslicht verwundet worden war.
    *
    Emil Barth

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