Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
unsern Augen abspielt. Ein Betrieb nach dem andern macht Schluß. [...] Hartmann, der Laibacher Nr. 1, erzählte mir, daß heute das Porzellan seine letzten Figuren einpackt. Ade, ihr Seydlitzkürassiere, ade, ihr Fahnenträger, Hitlerbüsten und Bären, ihr Lebensleuchter, Kannen und Tassen und sonstigen Gebilde aus feiner Tonerde, gehabt euch wohl samt dem Übermenschen, dem Mannweib und dem Zerberus, unter deren Assistenz ihr in den neuen Räuberhöhlen Tirols euer gebrechliches Dasein weiterführen mögt.
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Hella Jacobowski
Schloß Wudicke bei Rathenow
Die Landstraße ist voller Flüchtlinge, die meisten aus Berlin. Mit Autos und Pferdefuhrwerken, zu Rad und zu Fuß zieht ein ununterbrochener Strom westwärts. Wir erkundigen uns, wohin um alles in der Welt sie denn noch flüchten wollen, denn der Krieg kommt ihnen ja doch nach. Sie wollen alle über die Elbe, bei Tangermünde soll es eine Möglichkeit geben. Nur weg von den Russen!
Viele Soldaten sind unterwegs, darunter unzählige mit nur einem Arm oder einem Bein und mit Verbänden. Und dieser traurige Haufen, der ohne jeden Elan dahintrottet, bald nach Westen, bald nach Osten, soll nun in letzter Minuten noch das Verhängnis aufhalten! Nur ein Trupp junger SS-Leute redet große Töne von «nach Berlin ziehen» und «die Heimat verteidigen», und Hitler soll selbst die Kämpfe um die Stadt leiten, und auch Goebbels wird irgendwelcher Heldentaten oder zum mindesten heldenhafter Äußerungen bezichtigt. Die armen Irren! Nun, sie werden kaum mehr nach Berlin kommen, denn nach allem, was wir hören, ist nun auch die letzte Ausfallstraße zu.
In Trittsee eine sehr gemütliche Teestunde. Die Atmosphäre ist dort sehr viel wärmer und freundlicher.
Gertrud Bayer *1909
Berlin
Im Wald, gegenüber unserm Haus, lagert eine Kampfgruppe, die sich nach dem Westen durchschlagen will. Ob ich mich da anschließen kann? – Vergrabe meinen Schmuck im Garten.
Als ich nachmittags zu einem echten Kaffee zu Haeberleins wollte, sprach ich mit den Soldaten. Sie hatten Zivilpersonen bei sich, aus bereits besetzten Berliner Gebieten Geflohene, die schauervoll schildern konnten, was ihnen zugestoßen war. Ein junges Mädel war ganz apathisch, hatte kaum Zeug am Leibe, und die Soldaten organisierten aus einem leerstehenden Haus Kleider für sie. Die Kampfgruppe, die aus dem Osten kam, hat Befehl, sich nach Hamburg durchzuschlagen. Nach Rücksprache mit dem Major wollen sie mich «auf eigene Gefahr» mitnehmen!!
Ich sauste zu Haeberleins, um mich wiederum zu verabschieden und wartete abmarschbereit noch bis 5 Uhr morgens.
Der Soldat Herbert Nürnberger
bei Berlin
Kurz danach, es muß vielleicht der 23. bis 25. April gewesen sein, hieß es plötzlich, alle Marschfähigen mit möglichst wenig Gepäck antreten, es geht heraus aus Berlin!! Und da habe ich aus dem Fenster unserer Stube etwas gesehen, was ich auch nicht vergessen habe: Da marschiert doch eine Gruppe von halbuniformierten, alten Männern unten vorbei mit «vorsintflutlichen» Flinten, und einer hatte, wie man bei uns daheim sagt, ein «Buckerl»!!
Ich hatte einen Holzkoffer von daheim mitgebracht. Der Marsch ging also tatsächlich los in Richtung Westen oder Nordwesten. Ich tauschte meinen Koffer gegen einen Rucksack um; es lagen da schon bereits solcheDinge am Straßenrand. Aber auf einmal gab es eine Stockung, unser Zug wurde durch SS-Leute aufgehalten – und vorbei war es mit dem Abmarsch nach Westen!
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Lagebesprechung
Berlin/Führerbunker
Hitler: Mit was wollte ich dann den Süden halten gegen den Westen. Sie sehen, es ist überall so: Ein Name verbürgt eine gewisse Ordnung. Überall wo ein Name ist, eine Persönlichkeit, dort herrscht Ordnung. Solange in Italien eine Persönlichkeit war, war hier eine gewisse Ordnung. Unter Vietinghoff sind die zersetzenden Einflüsse wieder stärker geworden. Es sind das jene Klugscheißer, vor denen Clausewitz warnt, Leute, die immer den leichteren Weg als den klügeren bezeichnen. Tatsächlich ist der leichtere Weg der dümmere. Dazu kommt die falsche Klugheit. Es gibt für mich keinen Zweifel: Die Schlacht hat hier einen Höhepunkt erreicht.
Wenn es wirklich stimmt, daß in San Franzisko unter den Alliierten Differenz en entstehen – und sie werden entstehen – dann kann eine Wende nur eintreten, wenn ich dem bolschewistischen Koloß an einer Stelle einen Schlag versetze. Dann kommen die anderen vielleicht doch zu der Überzeugung, daß es nur einer sein kann, der dem
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