Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
Waffen? Bekommen wir die angekündigte Panzerfaust und das Geschütz ins Haus? Dann gnade uns Gott! Geheime Beratungen. Mit Soldaten oder Hausgenossen, die hier schiessen wollen, muss abgerechnet werden. Wir sind sämtlich Kinder des Todes, wenn das Haus verteidigt wird. Kann man es riskieren, jetzt schon weisse Fahnen zu hissen? Allgemeine Ansicht: zu früh.
Weitere grosse Gefahr: Die U-Bahnhöfe sollen sämtlich gesprengt werden. Wenn das bei uns geschieht, ohne dass man uns warnt, sind wir allesamt hin. Warnt man uns, so bedeutet es Ausweisung aus dem Keller – und wohin dann? Also abermaliges Umpacken der letzten Habe: vom Nötigsten das Allernötigste in kleinere Koffer, die man tragen kann.
Neues Gerücht: Die Russen in Steglitz sehr freundlich gegen Zivilbevölkerung. Nur aus den Häusern, die militärisch gebraucht werden, muss die Kellergemeinschaft weg, und zwar mit erhobenen Händen. Wiederum packen für solchen Fall. Auf Renates Vorschlag: Aktentaschen, kleinste Koffer, die mit Riemen oder Gürteln über beide Schultern gehängt werden, so dass dabei die Hände gehoben werden können.
Die Kellergemeinschaft jetzt durchaus freundlich gegeneinander. Alles hilft sich, tut einander Gefälligkeiten. Das Leben zu zwanzig hat sich
langsam eingespielt. Zeitweilig wagen wir es, Luft und Licht durch die Eisenfenster hereinzulassen, aber das dauert meistens nur kurz, dann müssen wir sicherheitshalber wieder alles verrammeln und tasten uns im Dunkeln beim Schein der spärlichen Kerzen herum. Die Dunkelheit für mich zum Verzweifeln, ich finde kein Stück, stosse mich allenthalben, werde unbeschreiblich deprimiert. Der Strom seit heute endgültig weg. Die U-Bahn ist jetzt gesperrt worden – kommt die Sprengung?
Dauernd ziehen todesmatte Soldaten vorüber, man weiss nicht, woher und wohin. Verwundete schleppen sich vorbei.
Nachmittags schwerer Bombenangriff. 8 Treffer allein in den Block. Der Luftschutzkeller hat tadellos gehalten, alle Wohnungen über uns furchtbar zerstört. Gerolsteiner 8 leicht beschädigt, Treffer in den Keller, unser Keller noch zugänglich und heil.
Abends: Man realisiert wohl nicht mehr so recht, in welcher Gefahr man geschwebt hat. Was wir hinter uns haben, war das bisher Schrecklichste. Wir wurden umhergeschleudert, aus dem brennenden Herd schoss eine Flamme in den Raum, Wolken von Staub und Mörtel kamen durch die Fensteröffnungen. Ich mag Renate gar nicht mehr von meiner Seite lassen – man ist nur ruhig, wenn man dicht beisammen ist.
B.N. *1921
Berlin/Keller des Propagandaministeriums
Man kann mich gut gebrauchen, es sind bisher nur zwei Mädchen hier, und neben der dienstlichen Tätigkeit kommen die Männer mit allerlei Wünschen wie Knopf annähen, stopfen usw. Man fühlt, daß man hier nötig ist, und ich bin glücklich, in Jochens Nähe zu sein.
Heute kam wieder eine neue Gefahr auf dem Wege dazu, sowjetische Bombenangriffe. In der Nacht war es schon so unruhig, daß ich mich gegen 3 Uhr in den Keller schlafen legte. Früh machte ich Besorgungen für die Männer, brachte zu Haus noch alles in Ordnung und zog dann um 12.45 mit vollbepacktem Rucksack und Einholetasche stadtwärts. Ich kam nur langsam vorwärts, immer wieder mußte ich Deckung suchen. Manchmal sagte ich mir, es ist ja Wahnsinn, und war nahe dran, wieder umzukehren. Aber dann dachte ich an Jochen. Ich hatte versprochen wiederzukommen, und so schlug ich mich durch. Am Kaiser-Wilhelm-Platz nahm mich ein Lastwagen mit, hielt unterwegs bei dem Beschuß, alles abspringen, dann wieder über Geröll und Scherben weiter, daß einem Hören und Sehen verging. Das letzte Stück von der Möckernstraße lief ich zu Fuß und atmete erleichtert auf, als ich am Ziel war – ich möchte den Weg nicht noch einmal wagen.
Ich spiele Sekretärin, Näherin, – je nach Bedarf. Es macht mir Spaß.
Wenn ich mit Jochen auch nicht viel Privates besprechen kann – wir sind uns nah. Ich muß ihn oft anschauen, und mir ist’s, als ob ich ihn von Tag zu Tag lieber habe.
Gerade haben wir kurz Gute Nacht gesagt. Ich liege auf einer Matratze neben der Telefonzentrale mit Decken im Keller, wo wir Mädchen schlafen, draußen hört man die Detonationen fallender Bomben – mein Kriegsalltag!
Lagebesprechung
Berlin/Führerbunker
Hitler: Ich sehe eine Möglichkeit, die Geschichte zu reparieren nur, indem ich an einer Stelle einen Erfolg erringe. Bedenken Sie auch die Rückwirkungen auf die Engländer. Wenn wir heute Berlin erfolgreich
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