Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
weht herein. Unter dem Bettzeug hab ich ein idiotisches Gefühl von Sicherheit, als seien die Decken und Laken aus Eisen. Und dabei soll gerade Bettzeug so gefährlich sein. Dr. H. erzählte mir einmal, wie er eine im Bett getroffene Frau verarzten mußte, der die Federpartikel bis tief in ihre Wunden hinein gedrungen waren, so daß man sie kaum herausbekam. Aber es kommt der Augenblick, wo tödliche Müdigkeit über die Angst siegt. So schlafen wohl auch Frontsoldaten im Dreck. [...]
Mit einem Eimer in jeder Hand wanderte ich durchs blühende Laubengelände zur Pumpe. Die Sonne strahlte so warm. Lange Pumpenschlange, jeder rührte den Schwengel für sich; er bewegt sich schwerfällig, mit Gequietsche. Zurück die Viertelstunde Weg mit überschwappenden Eimern. «Wir sind alle hübsch tastbare Eselinnen.» (Von Nietzsche, glaub ich). Bei Bolle immer noch Geschubse wegen der Gratisbutter. Bei Meyer endlose, dunkelfarbige Schlange, die ausschließlich aus Männern besteht; es wird dort Schnaps verkauft, pro Ausweis ein halber Liter, alle vorhandenen Sorten.
Ich ging gleich nochmals Wasser holen. Auf dem Rückweg plötzlich Bombenfall. Aus dem Rasenplatz vor dem Kino stieg eine Säule aus Rauch und Staub. Zwei Männer vor mir warfen sich platt in den Rinnstein. Frauen rannten in den nächstbesten Hausflur, treppab. Ich hinterdrein, abwärts, in einen völlig fremden Keller, der nicht die Spur von Beleuchtung hat. Die vollen Eimer schleppte ich mit, sonst werden sie einem geklaut. Drunten im Stockfinstern ein aufgescheuchter Haufen, unheimlich. Eine Frauenstimme ächzt: «Mein Gott, mein Gott ...» Und wieder Stille. [...]
Als ich vom Wasserholen zurück war, schickte mich die Witwe auf Kundschaft zur Fleischschlange. Dort großes Geschimpfe. Es scheint, daß immer wieder die Zulieferung von Wurst und Fleisch stockt. Dies ärgert die Frauen im Augenblick mehr als der ganze Krieg. Das ist unsere Stärke. Immer haben wir Frauen das Nächstliegende im Kopf. Immer sind wir froh, wenn wir vom Grübeln über Künftiges ins Gegenwärtige flüchten dürfen. Die Wurst steht zur Zeit im Vordergrund dieser Hirne und verstellt ihnen perspektivisch die großen, doch fernen Dinge.
Im Keller wiederum, gegen 18 Uhr. Konnte oben nicht länger ruhig liegen, bekam Angst, da Volltreffer nahebei und dicke Kalkbrocken auf meine Wolldecke gefallen sind. Hab hier unten gedusselt, bis die Henni vom Bäcker kam und meldete, daß ein Volltreffer in die Drogerie neben dem Kino gegangen sei. Der Inhaber war gleich tot. Ob durch Splitter, Luftdruck oder Herzschlag, war nicht sofort feststellbar. Henni sagt, er hat nicht geblutet. Aus dem Drei-Schwestern-Pudding der schwarzen Damen erhebt sich eine und fragt mit vornehm gespitztem Munde: «Ach bitte – wie ist der Mann kaputtgegangen?» So reden wir jetzt, so sind wir sprachlich heruntergekommen. Das Wort Scheiße rutscht uns leicht von der Zunge. Man spricht es mit Befriedigung aus, als könnte man inneren Unrat damit ausstoßen. Man kommt der drohenden Erniedrigung auch sprachlich entgegen.
Der Wachtmeister Arno Pentzien
Berlin/Zoo
Ich bekomme vom Bataillon Bescheid, daß ich zur Batterie zurück kann. Wir gehen los und finden nach langem hin und her die Batterie im Volkspark. Alles schlief und ich ging zur Protzenstellung zum Chef, der auf meine Meldung hin sofort Stellungswechsel anordnet. Die ganze Abteilung fährt gegen 10.00 Uhr in Richtung Westen. Iwan beschießt wieder tüchtig die Häuser. Die armen Zivilisten! Nach kurzer Fahrt gehen wir zu unserer Überraschung im Berliner Zoo in Bereitstellung. Keine hundert Meter von dem großen Flak-Turm stellen wir unsere Fahrzeuge unter den Bäumen ab. Wir haben nicht viel Zeit, uns die Reste des Zoo’s anzusehen. Es kracht hier mächtig und wir graben uns sofort Deckungslöcher. Die schwere Flak auf dem Turm bekämpft Erd- und Luftziele. Ich lege mich neben mein Deckungsloch und schlafe sofort, trotz des Lärms ein. Gegen mittag erwache ich von einem furchtbaren Krachen und liege schon, ehe ich wach bin, in meinem Deckungsloch. Russische Bomber greifen die beiden Flak-Türme an. Da nicht jede Bombe ihr Ziel trifft, bekommen auch wir etwas ab, haben aber zum Glück keine Ausfälle. [...]
Einige Bomben fallen in ein großes Bassin, in dem sich Pelikane und sonstige Schwimmvögel befinden, es ist kaum 20m von uns entfernt. Wir bekommen eine mächtige Dusche, die, da es sehr heiß ist, gar nicht mal unangenehm wirkt. Aber gleichzeitig fallen
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