Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
verteidigen, und es zeigen sich doch gewisse Ansätze einer Stimmung gegen Rußland, dann werden sie sehen, daß die Leute, die über den entsprechenden Weitblick verfügen, gegenüber diesem Koloß wieder etwas Mut schöpfen. Diese Leute werden sich dann vielleicht sagen: Wenn man mit dem Nazi-Deutschland ginge, dann könnte man doch vielleicht gegenüber diesem Koloß standhalten.
Goebbels: Es wäre auch nach der anderen Seite ermunternd. Wenn Stalin diese Entwicklung in den Weststaaten auf Grund eines deutschen Sieges in Berlin sieht, dann würde er sich sagen: Das Europa, das ich mir vorstelle, kriege ich nicht. Ich bringe nur die Deutschen mit den Engländern zusammen. Also mache ich mit den Deutschen Kippe und mache irgendein Übereinkommen. In einer ähnlichen Situation hat ja Friedrich der Große auch einmal gestanden. Auch er bekam durch die Schlacht von Leuthen wieder seine ganze Autorität zurück. Wenn der Führer zeigt, daß man das kann, daß man bleiben kann, und daß man durch das Bleiben eine Schlacht gewinnt, dann werden diese Exekutionen einen erzieherischen Sinn und nicht eine niederschmetternde Wirkung haben.
Hitler: Es ist für mich persönlich einfach unerträglich, andere Leute erschießen zu lassen für Dinge, die ich selbst mache. Nur um meinen Berghof allein zu verteidigen, dazu bin ich nicht auf die Welt gekommen.
Goebbels: Wenn die Sache in Süd-Westen anders gewesen wäre, und es sich nur um einen Kampf um Berlin wie etwa um Breslau gehandelt hätte, dann hätte ich dringend dagegen protestiert, daß Sie nach Berlin kommen und eine Prestigefrage daraus machen. Aber die Entwicklung hat nun einmal diesen Kampf um Berlin zu einem solchen Prestigefall gemacht. Der Führer hat sich entschlossen, sich an dieser Stelle dem russischenGegner zu stellen, und er hat das deutsche Volk von Berlin zur letzten Gefolgschaft aufgerufen. Diese Lage muß jetzt durchgefochten werden, so oder so.
Hitler: Es gab für mich hier gar kein Problem. Es ist die einzige Möglichkeit, überhaupt noch wieder die persönliche Reputation herzustellen.
Irgendwo muß die Macht des großasiatischen Khans gebrochen werden. Seinerzeit war es die Schlacht um Wien [1683]. Jetzt ist es die Schlacht um Berlin. Als Wien befreit war, war noch nicht gleich die ganze Türkenmacht gebrochen. Es hat noch Jahre gedauert. Aber es war ein Fanal. Wenn die Wiener damals feige kapituliert hätten, dann wäre die Türkenmacht immer weiter vorgerückt.
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Friederike Grensemann *1924
Berlin
Ungefähr am 25. April konnte man den Kanonendonner vernehmen. Es grummelte ununterbrochen. Ich bekam nun doch immer mehr Angst. Abends sah man im Osten den Himmel rot, und es zuckte am Himmel. Unser Mandelbäumchen hatte schon geblüht und auch die Tulpen und der Flieder war gerade am Kommen. Als plötzlich viele deutsche Panzer durch die Berliner Straße fuhren, habe ich alles abgeschnitten und die Panzer damit geschmückt. Die Soldaten haben mich sicher für verrückt gehalten, aber ich glaube doch, daß die meisten bereit waren, Berlin zu verteidigen. Aber was war schon noch zu verteidigen?
Plötzlich lagen wir im Schußbereich der russischen Artillerie. Inzwischen war Dirk’s ehemaliger Jungvolkführer Ingo Körner dazugekommen, ein Kamerad von Wolfgang, beide schon aus der Armee entlassen. Dann kamen noch die beiden Nachbarmädchen neben Sturms dazu, und so saßen wir dann mit sieben Personen in Lautenbachs Musikzimmer. Sie hatten einen weißen Flügel, und Sessel standen locker in der Gegend. Ingo konnte fantastisch spielen und begann unter dem Heulen der Geschosse die Ungarischen Rhapsodien von Franz Liszt zu spielen. In dem Hause gegenüber schlugen die Geschosse ein, und es mußte uns jeden Moment treffen. Diese Weltuntergangsstimmung werde ich mein Leben nicht vergessen. Keiner sagte einen Ton, keiner weinte, nur Ingo spielte. – Das kann sich keiner vorstellen, der es nicht miterlebt hat. Dann war auch schon das Pak-Geschützfeuer zu hören und auch MG’s. Es war aus! Entweder wir verreckten oder wir türmten. Wir beschlossen zu türmen, jeder für sich in Richtung Kurfürstendamm.
Eine Frau
Berlin
Mittwoch, 25. April 1945, nachmittags.
Ich rekapituliere: Gegen 1 Uhr Nachts stieg ich aus dem Keller in den ersten Stock, haute mich wieder auf der Couch bei der Witwe hin. Plötzlich heftiger Bombenfall, die Flak tobt. Ich warte, bin so schlaftrunken, mir ist alles gleich. Die Fensterscheibe ist bereits entzwei, Wind mit Brandgeruch
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