Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)
Kräutern und Gewürzen, um Lebensmittel schmackhafter, aber auch wertvoller zu machen. Dieser Wissensschatz wurde über Jahrtausende erworben, verfeinert, durch Experimente erweitert, bewahrt und gelehrt. Es wäre schön zu sagen: bis heute. Doch das würde nur eingeschränkt der Wahrheit entsprechen. Die Revolution der Nahrungsmittelindustrie hat vieles verändert. Lebensmittel werden angereichert mit chemischen Substanzen, um Konsistenz, Farbe und Geschmack zu verändern oder die Haltbarkeit zu verbessern. Je mehr wir uns auf diese Angebote einlassen, desto größer wird die Abhängigkeit. Zeitersparnis und Bequemlichkeit sind die wesentlichen Vorteile, die vorgefertigte Nahrungsprodukte versprechen. Der Preis ist die Abkehr von alten Ernährungs-Traditionen – sowohl bei der Zubereitung als auch bei der Esskultur. Und noch ist kaum abzusehen, wie schwer dieser Verlust wiegt.
Im Grunde sind wir, was die Nahrungssuche angeht, gar nicht weit entfernt vom Verhalten unserer steinzeitlichen Vorfahren. So wie sie damals durch Wald und Savanne streiften, durchkämmen wir heute Regalreihen in Supermärkten, immer auf der Suche nach Signalen. Geschickt hat sich die Lebensmittelindustrie unser Steinzeitnahrungssuchprogramm zunutze gemacht. Packungsgrößen, Farbcodes, Food-Fotografie, Duft- und Aromastoffe ersetzen die einstigen Reize, die von den Beeren und Früchten des Waldes ausgingen. Welche künstlichen Signale besonders unwiderstehlich auf uns wirken, lässt die Industrie mit großem Aufwand testen. Das noch junge Forschungsgebiet des Neuromarketing beschäftigt sich dabei mit der Frage, welche Gehirnareale durch verschiedene (Produkt-)Stimuli aktiviert werden und letztlich einen Kaufimpuls auslösen. So beschreibt der Neuromarketingforscher A. K. Pradeep in seinem Buch The Buying Brain ( Das kaufende Gehirn ), über welchen emotionalen Zugang man das Gehirn einer jungen Mutter (»mommy brain«) dazu bringen kann, dass diese ein Produkt kauft. Werbebotschaften sprechen zum Beispiel gezielt die sogenannten Spiegelneuronen an. Sie liegen vorwiegend im Frontalen Kortex und spielen in der Emotionserkennung von Gesichtern eine entscheidende Rolle. Die emotionale Verknüpfung mit dem beworbenen Produkt gelingt etwa dadurch, dass der kaufwilligen Mutter auf der Verpackung oder im Werbejingle eine Szene präsentiert wird, in der eine andere Mutter ihr Baby zärtlich küsst.
Wir haben uns längst daran gewöhnt, Nahrungsmittel auch als Produkte einer Vermarktungskette zu sehen. Warum sollen die Gesetze des freien Marktes ausgerechnet bei der Ware Lebensmittel nicht gelten? Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist daran auch nichts auszusetzen. Legt man allerdings den Gedanken einer metabolischen Erziehung zugrunde, bei der es unter anderem darum geht, dem Stoffwechsel einen Input aus möglichst unverfälschten Nahrungssignalen zu vermitteln, wird die Sache problematischer. In den vergangenen Jahrzehnten hat die Nahrungsmittelindustrie eine Art moderne Ernährungskette geschaffen. In diesem System, das Geschlossenheit anstrebt, verfolgen Firmen Geschmacksmonopole. Rezepturen werden zu brisanten Wirtschaftsgeheimnissen: Was macht einen Hamburger zu einem besonderen Geschmackserlebnis? Antwort: eine Kombination von Aromastoffen, eine Art geheime chemische Formel des Geschmackserfolgs. Der Kunde soll durch diese Stoffe an das Produkt gebunden werden und möglichst häufig möglichst viel davon verzehren. Im Grunde geht es den Unternehmen dabei um eine Ernährungsumstellung – hin zu ihren Produkten. Die Folge ist nicht nur eine zunehmende Monokultur des Essens. Viel schwerer wiegt, dass das Urteilsvermögen des Konsumenten für natürliche Lebensmittel nachlässt und bei Kindern nur noch rudimentär entwickelt wird. Und das hat Auswirkungen auf unseren Stoffwechsel, unsere Energieversorgung und den Brain-Pull. Künstliche Aromastoffe wirken wie Cues auf unseren Gehirnstoffwechsel.
Hinzu kommt: Jede Werbebotschaft für einen Snack, einen Softdrink oder eine bestimmte Burgersorte hat als Cue das Potential, direkt auf den Brain-Pull des Betrachters einzuwirken. Aus Sicht der Lebensmittelindustrie soll genau das auch passieren: Denn all diese Strategien dienen letztlich dazu, das Regulierungssystem unseres Brain-Pulls auszuhebeln, damit wir mehr essen. Wenn wir also über Aufklärung im Zusammenhang mit industriell gefertigtem Essen sprechen, geht es nicht nur um das Aufzeigen einer gezielten Steuerung von Kaufimpulsen durch
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