Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)
als Alleinsein annimmt und somit lernt, sich mit sich selbst gut zu fühlen.
• Schuldgefühle: Man hat jemanden verletzt, sich im Ton vergriffen oder sich ungerecht verhalten. Schuldgefühle sind unsere Art, einen äußeren Konflikt zu verinnerlichen. Sie sind ein äußerst wertvoller Seismograph für Ungerechtigkeiten und Fehlverhalten. Unbearbeitete Schuldgefühle verlieren zwar an Intensität, aber sie existieren weiter. Sie sinken unter die Oberfläche unseres Bewusstseins und können jederzeit reaktiviert werden. Auflösen lassen sich Schuldgefühle in der Regel nur durch aktives Verhalten: sich entschuldigen, sich erklären, Verantwortung übernehmen oder Wiedergutmachung leisten. Genau dafür stellt unser Gehirn dann mehr Energie zur Verfügung.
• Unsicherheit: Sich in einer Situation nicht wohl zu fühlen, führt im besten Fall zu einer kritischen Betrachtung der eigenen Möglichkeiten, Schwächen und Stärken. Geldsorgen können lähmen. Und sie verschwinden in der Regel nicht von allein. Wenn es gelingt, das Gefühl der Verunsicherung umzunutzen, kann daraus Energie entstehen – etwa, um einen konkreten Finanzplan auszuarbeiten. Wo kann ich mehr einnehmen, wo kann ich sparen? Vielleicht kommt es durch solche Einsparungen zu Konflikten mit anderen Familienmitgliedern. Dann muss ich mit ihnen über meine Sorgen und Pläne reden und sie mit einbeziehen. Selbst wenn ich in dieser Phase des Sparens auf manche flüchtige Freude beim Kauf einer schönen Sache verzichten muss, entsteht in mir doch langfristig ein Gefühl von Ruhe und Sicherheit.
Selbstverständlich lassen sich noch viele andere Beispiele finden. Jeder kann hier seine eigenen Lösungsstrategien für unsichere Lebenssituationen hinzufügen. Das Prinzip jedoch sollte deutlich geworden sein: Alle diese Handlungsweisen entfalten auf mindestens zwei Ebenen ihre Wirkung: auf der sachlichen (wenn ich etwas an meinem Haus repariere, habe ich ein konkretes Problem beseitigt) und auf der emotionalen – über einen reparierten Wasserhahn muss man sich keine Gedanken mehr machen, während ein ungelöstes Problem uns wie ein tropfender Hahn lange Zeit emotional belastet. Ein konkreter Plan kann in Zeiten der Verunsicherung dazu beitragen, dass unser Stresssystem entlastet wird; und damit hat der Brain-Pull wieder die Möglichkeit, sich zu regenerieren.
• Langeweile: Dieses Empfinden ist möglicherweise das essentielle emotionale Negativerlebnis unserer Zeit. Langeweile gilt es in unserem Medienzeitalter unbedingt zu vermeiden. Sie wird als kaum aushaltbar empfunden. TV , Smartphones, Internet und Computer bieten sofortige und jederzeit verfügbare Fluchtmöglichkeiten vor dem Gefühl der Langeweile. Doch statt sich abzulenken und die Zeit totzuschlagen, kann es sich lohnen, Langeweile auszuhalten. Das böte die Chance, herauszufinden, woraus sie eigentlich resultiert. Das Gefühl der Langeweile ist ein deutlicher Hinweis, dass eine Diskrepanz zwischen Lebensstil und wahren inneren Bedürfnissen besteht. Der amerikanische Stressforscher Mihály Csíkszentmihályi untersuchte in einer Langzeitstudie, in welchen Situationen Menschen sich glücklich, erfüllt und nicht gelangweilt fühlen. Vor dem Test antworteten die meisten Probanden: »In meiner Freizeit.« Csíkszentmihályi bat die Teilnehmer nun, über einen längeren Zeitraum und in bestimmten Abständen ihre Stimmungslagen aufzuzeichnen. Das Ergebnis verblüffte: Die meisten Glücksmomente notierten die Testpersonen bei ihrer Arbeit, nicht bei Freizeitaktivitäten. Diesen Zustand, sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren, sich ihr hinzugeben, bezeichnet der Psychologe als »Flow«. Die Zeit beginnt zu fließen, wir verschmelzen mit dem, was wir tun. Das ist das Gegenteil von Langeweile und hat offenbar viel mit Glück zu tun.
Phasen konzentrierten Arbeitens wirken interessanterweise auch stimulierend auf den Brain-Pull. Die Energieversorgung des Gehirns arbeitet unter einer gewissen Last meist erstaunlich effektiv. Jeder, der schon einmal wie in Trance an einem Problem gearbeitet hat, kennt vielleicht das Gefühl, nicht nur die Zeit aus dem Sinn zu verlieren, sondern auch keinen Hunger zu verspüren. Vom amerikanischen Mathematiker Norbert Wiener ist eine Anekdote überliefert, die dieses Phänomen verdeutlicht. Wiener wurde auf dem Campus des Massachusetts Institute of Technology ( MIT ) in eine Diskussion über ein mathematisches Problem verwickelt. Nach dem Gespräch erkundigte er sich, aus
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