Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)
wurde deutlich, dass in Versorgungskrisen alle Organe des Körpers schrumpfen – mit Ausnahme des Gehirns.
Doch was bedeutet es, wenn ein Lebewesen das Größenverhältnis zugunsten seines Gehirns effektiv verschieben kann? Dann bleibt die Energieversorgung des Gehirns gleich hoch, während der Energiebedarf des verkleinerten Körpers abnimmt – und damit auch der Gesamtenergiebedarf. Im Überlebenskampf eines harten Wintereinbruchs in der Welt der Jäger und Sammler vor 60 000 Jahren war dies ein entscheidender Vorteil. Der energieeffizientere moderne Homo sapiens konnte so die Leistungsfähigkeit seines Gehirns bei Energieengpässen länger auf einem hohen Niveau halten. Während also ein hungernder Neandertaler bereits tief in einen inneren Energiekonflikt zwischen Gehirn und Körper verstrickt war, muss der Homo sapiens noch in der Lage gewesen sein, aufmerksam und konzentriert zu agieren, selbst unter extremer körperlicher und psychischer Belastung. Ein unterversorgtes Gehirn hingegen zeigt dramatische Leistungseinbußen bis hin zu Fehlern, die das Urteilsvermögen trüben. Ein unsicherer Tritt auf einem vereisten Bergpass, eine falsche Abzweigung oder eine frische Raubtierspur, die übersehen wird – man ahnt, wie schwerwiegend Fehlentscheidungen in Grenzsituationen waren, für den Einzelnen oder sogar für die ganze Gruppe.
Wir wissen aus anthropologischen Forschungen, dass Body-Downsizing zunächst ein vorübergehender Effekt ist. Verbessert sich die Versorgungssituation, nimmt der Körper wieder zu. In der Geschichte der Gattung Mensch, die vom Homo australopithecus, über Homo erectus bis zu uns reicht, gab es indes lang anhaltende Krisenperioden wie Eiszeiten und Dürreperioden.Mit knapper werdenden Energieressourcen vergrößert sich langfristig der Überlebensvorteil von Individuen mit höchster Energieeffizienz und -kompetenz. Betrachten wir die Zeit vor 50 000 Jahren als ein Beispiel für eine solch lang andauernde Versorgungskrise in der Stammesgeschichte des Menschen, so ist sie möglicherweise die Ursache dafür, dass sich beim modernen Homo sapiens der Körper nachhaltig umbaute, filigraner wurde und so dem Gehirn einen größeren Energiezugang verschaffte. Dafür spricht, dass vor etwa 50 000 Jahren mit Beginn der letzten Eiszeit ein fortschreitendes Body-Downsizing einsetzte. Offenbar war die modernere Unterart des Homo sapiens in der Lage, sich optimal anzupassen. Warum die Neandertaler im Body-Downsizing nicht so erfolgreich waren, ist eine bislang ungeklärte Frage. Tatsache ist, dass sie zum Auslaufmodell der Evolution wurden und zum Ende der letzten Eiszeit von der Erde verschwanden. Welche Rolle der moderne Mensch beim Untergang seiner Vettern gespielt hat, ist – wie gesagt – noch nicht hinreichend erforscht. Aber wir dürfen annehmen, dass das egoistische Gehirn unserer Vorfahren womöglich den entscheidenden evolutionären Vorteil beschert haben könnte. Die dauerhafte Umverteilung der Energieressourcen zwischen Körper und Gehirn wurde so zum Schlüssel für die Entwicklung des menschlichen Denkens. Das Gehirn des modernen Menschen verfügt über eine bessere Energieversorgung als jedes andere Säugetiergehirn. Die besonders ausgeprägte Fähigkeit des Gehirns, sich nach Bedarf vom Körper Energie zuführen zu lassen, hat offenbar dem menschlichen Gehirn seinen Sonderstatus verschafft. Durch diese optimale, hocheffektive Energielieferkette konnte es wachsen, sich immer komplexer vernetzen, mehr Informationen speichern, besser denken. Der Siegeszug des Selfish Brain war nicht mehr aufzuhalten.
Energieverwaltung im Gehirn
Vom Jäger und Sammler bis zum Menschen des Industriezeitalters war es ein langer Weg – auch für unser Gehirn. Als es sich immer weiter strukturierte, lebten wir in Savannen, gingen auf die Jagd, lernten giftige von genießbaren Pflanzen zu unterscheiden und mussten vor großen Raubtieren auf der Hut sein. Was passierte mit diesem Jäger-und-Sammler-Gehirn, als es zivilisatorisch umerzogen wurde? Als Arbeitsprozesse komplexer wurden und sich von der direkten Nahrungsbeschaffung immer weiter entfernten?
Erstaunlicherweise verfügt unser Gehirn über eine große Anpassungsfähigkeit, ohne sich grundlegend zu verändern oder gar zu wachsen. Menschliche Gehirne lassen sich durch Arbeitsorganisation, Logistik und technisches Wissen »projektbezogen« vernetzen. Im Ägypten der Pharaonen wurde dies bereits auf eindrucksvolle Weise deutlich. Die Pyramiden legen
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