Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)
Diesen Vorgang nennt man Long Term Depression – die Langzeitunterdrückung. Es ist wie beim digitalen Kabelfernsehen: Je schlechter die Verbindung, desto pixeliger und unschärfer wird das Bild, bis hin zu Bildstörungen und Aussetzern. Nach so einem dramatischen Erlebnis ist die Kortisol-Konzentration auch nachts noch vergleichsweise hoch. Das beeinflusst die Schlafstruktur, so dass es praktisch nicht zum Tiefschlaf kommt. Das heißt, es werden weniger Details abgespeichert: Fehlerhaftes Verhalten soll möglichst nicht gespeichert werden. Stattdessen wird das Erlebnis als negativ bewertet. Ist der GR aktiv, wird passives, abwartendes Verhalten gefördert. Stressforscher nennen diesen Vorgang »Furcht-Konditionierung«. Nach einem negativ erlebten ersten Fallschirmsprung ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die betreffende Person kein zweites Mal springt. Der GR hat das Gehirn auf Vermeidung programmiert, und es kostet erhebliche Willensanstrengungen (und möglichst einige Veränderungen im Ablauf – z. B. anderer Lehrer oder anderer Ort), um diese Abwehrhaltung erfolgreich zu überwinden.
Die Rezeptoren MR und GR sind eine große und unberechenbare Macht in unserem Gehirn. Ihre Balance ist für uns lebensentscheidend. Ist das Stresssystem in der Ruhelage, so fühlen wir uns wohl, zufrieden, ausgeglichen. In dieser Ruhe sorgt der MR sogar für das Wohlergehen und Überleben der Neuronen in Hippocampus und Amygdala. Doch dieses Gleichgewicht kann empfindlich gestört sein. Die Folgen sind gravierend: Hohes Kortisol sorgt nicht nur für eine Entknüpfung der Synapsen. Es kann sogar Gedächtnisinhalte löschen oder den Zugang zu ihnen verschütten. Im schlimmsten Fall werden Nervenzellen sogar vollständig aus dem Verkehr gezogen; der GR löst dann den programmierten Zelltod aus. So werden fatale Verhaltensstrategien von der Festplatte gelöscht. Die lang andauernde Belastung mit einem hohen Kortisol greift auch Haut, Muskeln, Knochen und andere Gewebe an, erhöht das Risiko von Herzerkrankungen und Schlaganfällen. Verliert unser Stresssystem seine innere Balance, werden wir erst unglücklich und später krank.
TEIL II
Wie unser Gehirn Energiekrisen
auf Kosten des Körpers löst
Global Silencing – die Stille im Gehirn
Bis heute sind wir dem Einfluss der Naturgewalten weitgehend ausgeliefert. Bevor der Mensch die Technologie entdeckte, war die Macht der Natur sogar absolut. Einen Fluss konnte man befahren, in ihm Fische fangen – aber ihn aufhalten? Das versuchten als Erstes antike Zivilisationen, indem sie Flüssen mit Hilfe ausgeklügelter Kanalsysteme Wasser für die Landwirtschaft abtrotzten. Heute werden viele Ströme der Welt umgeleitet und in künstliche Betten gepresst. Riesige Staudämme ermöglichen es, gigantische Wasserreservoire zurückzuhalten, um Trinkwasser zu gewinnen oder Strom zu erzeugen. Wir greifen längst massiv in die Natur ein, ohne sie jedoch völlig zu beherrschen. Flussbegradigungen führen bei Hochwasser zu gewaltigen Überschwemmungen, Staudämme können bersten. Vor allem aber hat jeder Eingriff Auswirkungen, deren Konsequenzen im Vorfeld kaum abschätzbar sind. Bei einem Staudammprojekt wird sich die Wasserversorgung ganzer Landstriche, möglicherweise sogar mehrerer Nationen verändern. Seen können austrocknen, ehemals fruchtbare Böden verkarsten, Bauern, die jahrhundertelang ihre Äcker bestellten und sich auf ihre Erträge verlassen konnten, sind plötzlich in ihrer Existenz bedroht. Staudämme zerstören das natürliche Gleichgewicht der Wasserversorgung und verändern damit die Lebensgrundlagen in einer Landschaft völlig.
Es gibt aber nicht nur die äußeren Naturgewalten der Erde, der Luft und des Wassers, sondern auch Kräfte, die in uns Menschen wirken. Eine von ihnen ist der Brain-Pull – die Kraft, welche die Energieversorgung unseres Gehirns reguliert und sicherstellt. Wir bauen zwar keine Dämme oder Flussbegradigungen in unserem Organismus, aber dennoch gibt es Eingriffe oder Störungen, die unseren Brain-Pull ähnlich beeinträchtigen wie ein Staudamm den Wasserhaushalt eines Flusses.
Manche dieser gravierenden Veränderungen in unserem Energiehaushalt entstehen durch Erkrankungen, andere, mit denen wir uns später näher befassen werden, hängen mit äußeren Lebenseinflüssen und unserer Reaktion darauf zusammen. Wie das Gehirn mit solchen Brain-Pull-Störungen umgeht, welche Notlösungen es parat hat und wie deren Folgen für den Körper aussehen, damit
Weitere Kostenlose Bücher