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Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)

Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)

Titel: Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Peters
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Phase der Benommenheit konnte Lukas aufstehen, als wäre nichts gewesen.
    Mediziner wissen: Solche komatösen Zustände sind nicht untypisch für Typ-1-Diabetespatienten. Die Anfälle kommen in der Hälfte der Fälle plötzlich, ohne nennenswerte Vorwarnzeichen. Aber warum merkt der Patient nicht rechtzeitig, dass sein Körper in eine Energiekrise schlittert, die sich oft über Stunden hinweg so bedrohlich entwickelt, dass sich das Gehirn abschaltet? Und vor allem: Warum tritt diese dramatische Zuspitzung des Energiezustands nicht am Anfang der Erkrankung auf, sondern meist erst nach mehreren Jahren?
    Seit den 1970er Jahren wird die Anwendung von Insulin als blutzuckersenkende Maßnahme systematisch erforscht. In der Abteilung für Klinische Physiologie in Baltimore entwickelten Reubin Andres und Ralph DeFronzo ein Verfahren, mit dem sich der Blutzucker auf einen bestimmten Wert »festklemmen« lässt – die sogenannte Clamp-Methode. Dem Patienten werden dazu in beide Arme Infusionen gelegt, über die Insulin und Dextrose (Zuckerlösung) zugeführt werden. Ziel ist zunächst, den Blutzucker auf den Idealwert von 90 mg/dl festzuklemmen. Bei diesem Blutzucker sind die Zellen optimal versorgt, das Stresssystem ist in Ruhelage. Der Clamp-Test verrät aber noch viel mehr über das System der Energiebeschaffung und -verteilung im Körper. Senkt man bei einer gesunden Testperson den Blutzuckerspiegel künstlich ab, reagiert das Gehirn sofort mit einer Stressantwort – der Aktivierung des Brain-Pulls. Die Stresshormone Adrenalin und Kortisol steigen in dem Maße an, in dem der Blutzucker sinkt. Unterzieht man die Person jetzt psychologischen und kognitiven Tests (Denk- und Konzentrationsaufgaben), wird das Ausmaß der Versorgungskrise deutlich. Zu den typischen Stresssymptomen wie Unruhe, Herzrasen oder Schweißausbrüchen kommen neuroglukopenische Ausfallerscheinungen (Schläfrigkeit, Konzentrationsstörungen, verlangsamtes Denken). Bei den kognitiven Tests wird deutlich, dass die Leistungsfähigkeit des Gehirns nachlässt. Hirnstrommessungen runden das Bild ab und zeigen, dass sich die Signalverarbeitung im Gehirn verlangsamt, die Reaktionszeit länger wird.
    Was an den Clamp-Tests besonders fasziniert, ist die direkte Ursächlichkeit zwischen Blutzucker und Stressantwort. Wie mit einem Regler lässt sich das Stresssystem über den Blutzucker hoch- oder runterfahren. Ein weiterer, sehr eindrucksvoller Beleg, wie eng Stressreaktion und die Energieversorgung des Gehirns aneinandergekoppelt sind.
    Plan B heißt: mehr essen

    Kommt es im »realen« Leben beim gesunden Menschen zu einer Unterschreitung des normalen Blutzuckerwertes, werden die drei Energie-Pulls alles daransetzen, die Energieversorgung des Gehirns zu verbessern. Was passiert aber, wenn der Brain-Pull dauerhaft gestört ist, die Signale und Anzeichen des Stresssystems schwächer werden? Dann ist das Gehirn nicht mehr fähig, genügend Energie aus den Körperreserven abzuziehen, und das System der Energieversorgung erreicht eine neue Stufe. Plan B wird aktiviert. Und der lautet: mehr essen! So etabliert sich ein neues Gleichgewicht der Energiebeschaffung, das zwar funktioniert, aber nur die zweitbeste Lösung darstellt (die erste wäre, ausreichend Glukose aus dem Körper zu bestellen). Bei einem Patienten mit Typ-1-Diabetes kommt es häufig zu dieser Umstellung, denn die Erkrankung geht meist mit einer schleichenden Brain-Pull-Schwächung einher. Das Gehirn deckt seinen Bedarf in solchen Fällen zunehmend aus Glukose, die direkt aus der Nahrung aufgenommen wird und immer weniger aus den Körperreserven. Das führt zu regelrechten Heißhungerattacken (dem »food craving«). Lukas Z. kennt dieses unbedingte, machtvoll drängende Verlangen seines Gehirns nach Zucker. Oft hat er es gerade noch so im rechten Moment geschafft, einen süßen Orangensaft zu trinken.
    Solange Plan B funktioniert, ist das Gehirn versorgt und zufrieden. Aber die Sache hat einen Haken: Der Körper muss deutlich mehr Energie als sonst aufnehmen, um die Grundversorgung des Gehirns zu decken. Als Nebeneffekt entsteht ein Energieüberschuss in den Fettdepots. Die Folge: Der Körper nimmt an Gewicht zu. Tatsächlich hat Lukas, der als Kind sehr schlank war, in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen und wiegt heute etwa 15 Kilogramm mehr als seine gleichaltrigen Freunde.
    Dank Plan B ist die Energieversorgung des Gehirns also gewährleistet, aber der Gesamtzustand hat sich eindeutig

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