Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)
die Körperdepots, weil sich die Energiezufuhr insgesamt erhöht. Normalerweise stehen dem Gehirn 20 Prozent der im menschlichen Organismus vorhandenen Energie zur Verfügung. Beim übergewichtigen Menschen sind es nur 17 Prozent. Wer also nur den Energiebedarf des Körpers berücksichtigt und nicht den Energiebedarf des Gehirns, der verpasst den entscheidenden Punkt.
Der Einfluss der Cues auf unseren Stoffwechsel ist also noch viel größer, als Weingarten annahm. Wie wir gesehen haben, geht es hier nicht um die Ausschüttung irgendeines ominösen Botenstoffs, sondern um einen massiven Eingriff in den Hirnstoffwechsel. Zum Glück sind Cues nicht allmächtig. Sie können zwar im Laufe der Jahre immer und immer wiederkehren, aber ihre zeitliche Wirkung ist jeweils limitiert auf das damit verknüpfte Ereignis. Im Grunde sind Cues also nur kleine vorübergehende Angriffe auf unseren Stoffwechsel und unsere Ernährungsgewohnheiten – Nadelstiche. Was sie so bedeutsam macht, ist ihr häufiges Wiederkehren.
Wir leben in einer Welt, in der wir ständig von Cues überflutet werden. Vor allem die TV -Werbung ist eine geballte Anhäufung von Cues. Es ist schon erstaunlich, wie groß der Anteil von Nahrungsmitteln, Getränken oder Alkoholika an der Fernsehwerbung ist. Fragt man die Verantwortlichen nach der Zielsetzung ihrer Werbespots, bekommt man meist zur Antwort, es gehe im Wesentlichen um Markenpräferenz – also um Bekanntheit und Image eines Produkts oder einer Marke im Bewusstsein des Verbrauchers.
Britische Wissenschaftler waren von dieser Argumentation nicht überzeugt und führten einen ganz simplen Test durch. Wieder ging es um Kinder (im Alter von 7 bis 11 Jahren), um Ernährungsverhalten und den Einfluss von Cues. Die Probanden schauten ein beliebtes Kinderprogramm, das von Werbespots unterbrochen wurde. Gruppe 1 bekam Spots zu sehen, von denen einige Nahrungsmittel bewarben. Gruppe 2 sah nur Spots ohne Food-Werbung. Beide Gruppen hatten vor sich auf dem Tisch ein Schälchen mit kleinen Snacks zur freien Verfügung. Das verblüffende Ergebnis lässt eine versteckte Werbeabsicht der Nahrungsmittelbranche vermuten: Die Kinder der Gruppe 1 aßen 45 Prozent mehr als die der Gruppe 2 – obwohl der angebotene Snack (»Fischli«) selbst gar nicht beworben worden war. Diese Studie von Harris und Halford belegt zweifelsfrei, dass Food-Werbung bei Kindern das Essverhalten beim Fernsehen beeinflusst. Der Verdacht liegt nahe, dass viele Spots genau auf diesen Effekt abzielen: das Konsumverhalten direkt zu manipulieren. Anders formuliert: Werbefernsehen sendet Cues aus, die in die Programmierung des Gehirnstoffwechsels von zuschauenden Kindern eingreifen.
Welche gravierenden Langzeitwirkungen das auf die Ernährung haben kann, zeigt eine amerikanische Studie. Bei Testpersonen, die als Kinder an den Wochenenden viel Zeit vor dem Fernseher verbracht hatten (im Schnitt fünf bis sechs Stunden) beobachteten die Forscher, dass deren Körpergewicht nach zwanzig Jahren deutlich höher war als bei jungen Erwachsenen, die in ihrer Kindheit weniger ferngesehen hatten. Interessanterweise beschränkte sich dieser Effekt im Wesentlichen auf exzessiven Fernsehkonsum an den Wochenenden. Hier können andere Begleitfaktoren wie familiäre Vernachlässigung eine Rolle spielen. Die Aussagekraft dieser Studie ist durch diese Unschärfen zwar einerseits begrenzt – andererseits bleibt sie ein deutlicher Beleg dafür, dass zwischen Fernsehgewohnheiten und Übergewicht im Erwachsenenalter ein enger Zusammenhang besteht. Diese Erkenntnisse sind noch relativ neu, haben aber bereits in der Öffentlichkeit und in der Politik eine gewisse Beachtung gefunden. Dennoch ist es darüber hinaus unumgänglich, den Einfluss von Werbung auf Kinder und Jugendliche grundsätzlich neu zu bewerten.
Kinobesuch mit Folgen
Wenn aber schon Food-Spots so massiv Einfluss auf das Gehirn nehmen können, was ist dann mit Werbung für Alkoholika? Das Problem droht sich weiter zu verschärfen, weil zusätzlich zur TV -Werbung das Internet-Marketing, also die Platzierung von Werbebotschaften und -filmchen (sogenannte Virals) auf häufig besuchten Internetseiten, immer bedeutender wird. Ein ebenfalls neuer und beunruhigender Trend ist das In-School-Marketing, das sich zunehmend in den USA durchsetzt. Immer mehr amerikanische Schulen eröffnen Firmen die Möglichkeit, auf dem Schulgelände und sogar im Unterricht direkt Einfluss auf junge Menschen zu nehmen.
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