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Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)

Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)

Titel: Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Peters
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dieser zusätzliche Extinktionspfad wiederum hemmt die beteiligten AMY -Neuronen und wirkt schließlich stärker als der ursprüngliche Stresspfad. Je öfter es also zu einer harmlos verlaufenden Begegnung mit dem Hund kommt, desto geringer fällt die Erregung und umso stärker die Hemmung der AMY -Neuronen aus. Auf diese Weise schwächt der Extinktionspfad die Stressreaktion des Menschen immer weiter ab.
    Der oben erwähnte Präfrontale Kortex sendet also die Botschaft, dass der Stress-Cue (Hund) erkannt worden ist, auch auf diesem alternativen Signalpfad an die Amygdala, was dazu führt, dass hier die Brain-Pull-Neuronen stark gehemmt werden. Auf diese Weise neutralisiert der alternative Extinktionspfad (wiederholt ungefährlicher Hund) dann quasi den ursprünglichen Konditionierungspfad (Biss) – und die Stressreaktion bleibt aus. Interessanterweise handelt es sich hierbei um das gleiche hirnphysiologische Phänomen wie bei den Food-Cues: Sie bewegen sich auf den gleichen Signalpfaden, die für die Furchtextinktion vorgesehen sind und zur Dämpfung des Stresssystems und somit auch zur Abschwächung des Brain-Pulls führen! (Vgl. Abbildung 4b und 4c).
    Zusätzlich zur therapeutisch angeleiteten Furchtextinktion setzt die Verhaltensmedizin auch auf das Erlernen neuer Verhaltensstrategien, zum Beispiel wie man mit einem Hund friedlichen Kontakt aufnimmt. Die Therapie schafft also neue neuronale Pfade des Denkens, Fühlens und Handelns – Umleitungen, die den von der Hundefurcht kontaminierten Bereich in Schach halten. Doch dieser Bereich ist trotzdem immer noch anfällig, denn das Gedächtnis in der Amygdala geht nicht verloren. Nur geringe Reize genügen, um die ruhig gehaltenen Neuronen wieder freizuschalten. Das erklärt, warum ein Mensch, der einmal von einem Hund gebissen worden ist, zwar im Laufe der Zeit Kontrolle über seine Furcht erlangen kann, aber durch einen zweiten Biss noch viel heftiger mit Furcht, Unsicherheit und Fluchtreflexen reagiert als beim ersten Mal.
    Das Phänomen, das solche Veränderungen an den Synapsen und die Umleitungen im Gehirn ermöglicht, nennt sich Neuroplastizität – die Fähigkeit des Gehirns, sich selbst umzubauen und sich immer wieder neu zu strukturieren. Die gestalterische Kraft zur Wandlung unseres Ichs ist in der Kindheit und der Jugend besonders ausgeprägt. Sie wird im Laufe der Jahrzehnte schwächer, aber sie versiegt niemals und steht uns in jedem Alter zur Verfügung. Die Chance, aus der Cue-Falle zu entkommen, steckt in dieser Fähigkeit des Gehirns, sich lernend zu wandeln.

Wenn Stress traumatisch wird

    Dem neuroplastischen Gehirn ist es auf vielfältige Weise möglich, sich neu zu ordnen, Krisen zu bewältigen, Schäden zu reparieren, Leistungsfähigkeit zu sichern. Bei Erblindung werden zum Beispiel Hirnareale, die eigentlich für das Sehen zuständig sind, vom Tastsinn genutzt. Hirnphysiologisch betrachtet ist das Erlernen der Blindenschrift tatsächlich eine Art des Sehens mit den Fingerkuppen. Nach einem Schlaganfall, bei dem Teile des Gehirns zerstört wurden, was häufig zu Lähmungserscheinungen einiger Muskelgruppen führt, lässt sich das Gehirn so umstrukturieren, dass andere Areale die Kontrolle der betroffenen Muskeln erlernen und übernehmen können; allerdings nur nach einem intensiven und gezielten Training. Es sind in der Forschung sogar Fälle bekannt, bei denen Menschen aufgrund eines Unfalls oder eines genetischen Defekts nur noch einen Teil ihres Gehirns zur Verfügung haben und trotzdem ein normales Leben ohne erkennbare Behinderung führen können. Die Neuroplastizität ist allerdings nicht grenzenlos. Es gibt Schädigungen des Gehirns, die nicht reversibel sind – schwere Schädelhirntraumen gehören dazu, Tumore oder eine gravierende Sauerstoffunterversorgung des neuronalen Gewebes.
    Nicht wiedergutzumachende Schädigungen des Gehirns können aber durch traumatische Stressbelastungen hervorgerufen werden. Belastungen, wie sie etwa in den Kriegsgebieten der Welt entstehen. Hier werden Grenzen überschritten – Grenzen des Leids, der Leistungsfähigkeit und des Lebens. Gerade wegen ihrer Grausamkeit verhelfen Kriege der Wissenschaft, so zynisch das ist, zu wichtigen Erkenntnissen. Marie Krieger hätte ihre außergewöhnlichen Studien ohne den Ersten Weltkrieg niemals durchführen können. Und auch im Zweiten Weltkrieg kam es 1944/45 zu einem furchtbaren Hungerwinter, der eine weitere ungewöhnliche Studie nach sich zog. Die

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