Das egoistische Gehirn: Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft (German Edition)
ein geringes – soziales Gefälle gibt. Wenn man keinen gutbezahlten Job, kein Eigenheim, kein auf Kredit finanziertes Auto zu verlieren hat, muss man sich darum auch keine Sorgen machen, solange die Existenzgrundlage der Familie gesichert ist. Das Risiko, sich von psychosozialem Stress getrieben zu fühlen, steigt, je vielschichtiger und uneindeutiger unsere Beziehungen zu anderen Menschen sind und je unübersichtlicher sich die Verflechtungen unserer beruflichen und privaten Verpflichtungen darstellen. Einen perfekten Nährboden findet Stress in der Unzufriedenheit mit der eigenen Lebenssituation, in wachsenden beruflichen Anforderungen, in allgemeiner Überforderung, in unrealistischen Erwartungen und permanenten Enttäuschungen, in unklaren Aufgabenverteilungen und äußeren Einflüssen, die den gemeinschaftlichen Zielen (etwa in einer Familie oder dem Freundeskreis) entgegenwirken. Mit anderen Worten: Psychosoziale Stressoren begegnen uns überall, und wir treten ihnen oft unvorbereitet entgegen. Was helfen kann, sind Coping-Strategien, Verhaltensmuster, mit denen man psychosozialem Stress begegnen und ihn entschärfen kann. Vertrackt dabei ist, dass wir den Umgang mit verschiedensten Stressoren am besten von unseren Eltern lernen. Was aber, wenn Kinder ihre Eltern als Menschen erleben, die selbst keine wirkungsvollen Coping-Strategien beherrschen, um die eigenen Konflikte zu lösen?
Kindern, die an psychosozialem Stress leiden, fehlt es tatsächlich häufig an Bewältigungsstrategien, um ihre innere Balance zu festigen. »Self nurturing«, nennt Laurel Mellin diese wertvolle Fähigkeit – Selbstfürsorge. Auch die Selbstliebe , wie sie im zweiten Teil des biblischen Gebotes »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst « geschrieben steht, sowie das Selbstwertgefühl sind eng mit dieser Selbstfürsorge verwandt. Mellins therapeutischer Ansatz besteht deshalb darin, das Bewusstsein ihrer Kursteilnehmer zu schulen: Sie sollen die Fähigkeit entwickeln, eigene Bedürfnisse zu erkennen und ernst zu nehmen, aber auch zu lernen, sich realistisch einzuschätzen und Grenzen zu setzen. Diese Fähigkeiten werden in der Therapie so lange trainiert, bis die Teilnehmer sie beherrschen und automatisch anwenden. »Wenn diese Strategien erst einmal verinnerlicht sind, wird das emotionale und soziale Verhalten der Teilnehmer stabilisiert«, erklärt Mellin die Wirkung ihres Programms.
Die Familientherapeutin hat zu ihrem Konzept Langzeitstudien an der Universität von Südkalifornien durchgeführt. Dabei hat sie sowohl jugendliche als auch erwachsene Programmteilnehmer über einen Zeitraum von jeweils 1,3 und 2,0 Jahren überwacht. Im Rahmen einer anschließenden Nachbeobachtung konnte sie 19 Studienteilnehmer sogar noch über eine Zeit von insgesamt sechs Jahren untersuchen. Die Probanden durchliefen in diesem Zeitraum verschiedene Untersuchungen hinsichtlich ihres Gewichts und Blutdrucks, sie absolvierten Sporteinheiten und wurden auf Depressionsanzeichen kontrolliert. Die Gruppe traf sich 18 Mal zu zweistündigen wöchentlich abgehaltenen Sitzungen, um die Coping-Strategien zu trainieren. Die Teilnehmer verabredeten darüber hinaus, ihre Fähigkeiten regelmäßig zu üben. Bei diesen Übungen geht es darum, Fragen zu stellen, bei denen es um die Fähigkeit der Selbstfürsorge geht: Wie fühle ich mich? Bedrückt mich etwas, und wenn ja, wie fühlt sich das an? Was ist der Auslöser meines Schmerzes, und was will er mir sagen? Was brauche ich, um ihn zu bewältigen? Benötige ich Unterstützung? Sind meine Erwartungen an mich und andere realistisch? Ist mein Denken positiv und kraftvoll? »Diese Fragestellungen tragen dazu bei, empfänglicher für das eigene Innere und emotional stabiler zu werden. Und wenn ein Mensch emotional gefestigter ist, neigt er weniger zu Verhaltensexzessen«, sagt die Professorin und führt weiter aus: »Der psychosoziale Stress in der modernen Welt, die persönlichen Verluste und das Chaos in unserem Leben haben zur Folge, dass die meisten von uns heute besser ausgeprägte innere Fähigkeiten brauchen, als dies bei unseren Vorfahren nötig war. Ohne diese Fähigkeiten laufen wir Gefahr, den Zugang zu unserem Innenleben zu verlieren, emotional zu verkümmern und uns einem exzessiven Lebensstil zuzuwenden, indem wir zu viel essen, zu viel arbeiten oder zu viel trinken.«
Mellins Methode der inneren Stabilisierung durch einfaches Hinterfragen der eigenen Bedürfnisse, Befindlichkeiten und Grenzen
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