Das egoistische Gen
Auffassung nach fehlt der Mehrzahl der Tiere dieses sequentielle Erleben, und sie benutzen ihr Gehirn unmittelbar in seinem ursprünglichen Parallelverarbeitungsmodus.
Ohne jeden Zweifel benutzt auch das menschliche Gehirn seine parallele Architektur unmittelbar, und zwar für viele der Routineaufgaben, die damit zu tun haben, eine komplizierte Überlebensmaschine am Laufen zu halten. Aber zusätzlich entwickelte es im Laufe der Evolution eine softwarevirtuelle Maschine, um einen sequentiellen Prozessor zu simulieren.
Der Verstand mit seinem sequentiellen Bewußtseinsstrom ist eine virtuelle Maschine, eine „benutzerfreundliche“ Art, das Gehirn zu erleben, geradeso wie das „Macintosh-Benutzer-Interface“ eine benutzerfreundliche Art ist, den physischen Computer im Innern seines grauen Gehäuses zu erleben.
Es ist nicht ohne weiteres klar, warum wir Menschen eine sequentielle virtuelle Maschine benötigten, wo doch andere Arten mit ihren schlichten parallelen Maschinen völlig glücklich zu sein scheinen. Möglicherweise ist etwas grundlegend Sequentielles an den schwierigeren unter den Aufgaben, die ein wildlebender Mensch zu erledigen hat, oder vielleicht hat Dennett unrecht, wenn er uns heraushebt. Er glaubt außerdem, daß die Entwicklung der sequentiellen Software weitgehend ein kulturelles Phänomen gewesen ist, und wieder ist mir nicht klar, warum dies besonders wahrscheinlich sein sollte. Aber ich sollte auch hinzufügen, daß Dennetts Arbeit zu dem Zeitpunkt, an dem ich dies niederschreibe, noch unveröffentlicht ist und meine Darstellung sich auf meine Erinnerung an seine 1988 in London gehaltene Jacobsen-Vorlesung stützt. Ich rate dem Leser, sich Dennetts eigenen Bericht anzusehen, sobald er erscheint, statt sich auf meine zweifellos unvollständige und impressionistische – möglicherweise sogar ausgeschmückte – Darstellung zu verlassen. Der Psychologe Nicholas Humphrey hat ebenfalls eine verlockende Hypothese darüber entwickelt, wie die Evolution der Simulationsfähigkeit zur Entstehung von Bewußtsein geführt hat. In seinem Buch The Inner Eye vertritt Humphrey überzeugend die Ansicht, daß in hohem Grade sozial lebende Tiere, wie wir Menschen und die Schimpansen, sich zu psychologischen Experten entwickeln müssen. Das Gehirn muß mit vielen Aspekten der Welt jonglieren und sie simulieren. Aber die meisten Aspekte der Welt sind im Vergleich zum Gehirn selbst recht einfach. Ein sozial lebendes Tier lebt in einer Welt voller anderer Tiere, einer Welt potentieller Geschlechtspartner, Rivalen, Gefährten und Feinde. Um in einer solchen Welt zu überleben und zu gedeihen, muß man relativ gut vorhersagen können, was diese anderen Individuen als nächstes tun werden. Prognosen darüber, was in der unbelebten Welt geschehen wird, sind ein Kinderspiel im Vergleich zu Vorhersagen über zukünftige Ereignisse in der sozialen Welt. Wissenschaftlich arbeitende Psychologen sind tatsächlich nicht sehr gut darin, menschliches Verhalten vorherzusagen. Dagegen können soziale Gefährten, die sich an winzigen Bewegungen der Gesichtsmuskeln und anderen subtilen Zeichen orientieren, häufig erstaunlich gut Gedanken lesen und Verhalten in Sekundenschnelle erraten.
Humphrey glaubt, daß sich diese „natürliche psychologische“ Fertigkeit bei sozial lebenden Tieren zu einem hohen Niveau entwickelt hat, beinahe wie ein zusätzliches Auge oder anderes kompliziertes Organ. Das „innere Auge“ ist das durch Evolution entstandene Organ zur Wahrnehmung sozialer und psychologischer Vorgänge, gerade so wie das äußere Auge das Sehorgan ist.
Soweit scheint mir Humphreys Gedankengang überzeugend.
Er argumentiert weiter, daß das innere Auge mittels Selbstbeobachtung funktioniert. Jedes Tier sieht nach innen auf seine eigenen Gefühle und Emotionen, um die Gefühle und Emotionen von anderen zu verstehen. Das psychologische Organ funktioniert mittels Introspektion. Ich bin nicht völlig überzeugt davon, daß uns dies hilft, Bewußtsein zu verstehen, aber Humphrey schreibt elegant, und sein Buch verleitet zur Zustimmung.
5 Manchmal erregen sich die Leute schrecklich über Gene „für“ Altruismus oder für ein anderes scheinbar kompliziertes Verhalten. Sie meinen (zu Unrecht), daß das Verhalten in seiner ganzen Komplexität in irgendeinem Sinne im Innern des Gens enthalten sein muß. Wie kann es ein einzelnes Gen für Altruismus geben, fragen sie, wenn ein Gen nichts anderes tut, als eine Proteinkette
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