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Das egoistische Gen

Titel: Das egoistische Gen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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menschlichen Genpool lauern, variieren. In einigen Büchern wird die durchschnittliche Zahl letaler Gene pro Person mit nicht weniger als zwei angegeben. Wenn irgendein beliebiger Mann mit irgendeiner beliebigen Frau Kinder zeugt, so ist es wahrscheinlich, daß seine letalen Gene nicht genau ihren letalen Genen entsprechen und ihre Kinder keinen Schaden nehmen. Wenn aber ein Bruder mit seiner Schwester ein Kind zeugt oder ein Vater mit seiner Tochter, so liegen die Dinge auf unheilvolle Weise anders. Selbst wenn meine rezessiven letalen Gene wie auch die meiner Schwester in der Gesamtpopulation äußerst selten sind, besteht eine beunruhigend große Wahrscheinlichkeit, daß ihre und meine identisch sind. Rein rechnerisch wird für jedes rezessive letale Gen, das ich besitze, eines von acht Kindern, die ich mit meiner Schwester zeuge, tot geboren werden oder jung sterben. Genetisch gesehen ist Sterben im Jugendalter übrigens noch „letaler“ als tot geboren werden: Ein totgeborenes Kind kostet seine Eltern weniger lebenswichtige Zeit und Energie. Wie auch immer wir es betrachten, Inzucht mit nahen Verwandten ist nicht nur ein wenig schädlich. Sie ist potentiell katastrophal. Möglicherweise gibt es in der Natur keinen stärkeren Selektionsdruck als den zugunsten des aktiven Vermeidens von Inzucht.
    Die Anthropologen, die Einwände gegen die darwinistische Erklärung der Inzuchtvermeidung erheben, sind sich vielleicht nicht darüber im klaren, wie stark das Beweismaterial ist, gegen das sie antreten. Ihre Gegenargumente sind gelegentlich so schwach, daß sie wie ein verzweifeltes Vorbringen von Nebenmaterial erscheinen. Sie lauten zum Beispiel häufig:
     
    „Wenn die natürliche Selektion uns wirklich eine instinktive Abneigung gegen Inzucht eingebaut hätte, brauchten wir diese nicht zu verbieten. Das Tabu besteht nur, weil die Menschen inzestuöse Wünsche haben. Daher kann die Ablehnung des Inzests keine „biologische“ Funktion haben, sie muß rein „sozial“ sein.“ Dieser Einwand ist mehr oder weniger so, als wollte man sagen: „Autos brauchen kein Zündschloß, denn sie haben Schlösser an den Türen. Daher können Zündschlösser keine Vorrichtungen gegen Diebstahl sein; sie müssen irgendeine rein rituelle Bedeutung haben!“ Anthropologen betonen auch gern, daß verschiedene Kulturen verschiedene Tabus, ja sogar verschiedene Definitionen der Verwandtschaft haben. Sie scheinen zu glauben, auch dies unterminiere die Bemühungen, die Inzestvermeidung darwinistisch zu erklären. Aber man könnte genausogut sagen, der Sexualtrieb könne keine Anpassung im Darwinschen Sinne sein, weil verschiedene Kulturen bei der Kopulation unterschiedliche Positionen bevorzugen. Es erscheint mir höchst plausibel, daß das Vermeiden von Inzucht beim Menschen, nicht weniger als bei anderen Tieren, die Konsequenz einer starken natürlichen Auslese ist.
    Nicht nur die Paarung mit denen, die uns genetisch zu nahe stehen, ist ungünstig. Auch die Vereinigung von Partnern sehr unterschiedlicher Herkunft kann – wegen eventueller genetischer Unverträglichkeit – Nachteile mit sich bringen. Wo genau der ideale Mittelweg liegt, ist nicht leicht vorherzusagen. Sollte man sich mit einem Vetter ersten Grades paaren? Mit einem Vetter zweiten oder dritten Grades? Patrick Bateson hat versucht, Japanwachteln zu fragen, wo ihre Präferenzen liegen. In einer Versuchsanordnung namens Amsterdam-Apparat konnten die Vögel unter Angehörigen des anderen Geschlechts wählen, die hinter Miniaturschaufenstern ausgestellt waren.
    Sie zogen Vettern ersten Grades sowohl Geschwistern als auch nicht verwandten Vögeln vor. Weitere Experimente ließen darauf schließen, daß junge Wachteln sich die Merkmale ihrer Nestgefährten einprägen und in ihrem späteren Leben dazu neigen, Geschlechtspartner zu wählen, die diesen ähnlich, aber nicht zu ähnlich sind.
    Die Wachteln scheinen Inzucht also dadurch zu vermeiden, daß sie diejenigen, mit denen sie aufgewachsen sind, von sich aus nicht begehren. Andere Tiere befolgen statt dessen soziale Gesetze, von der Gruppe durchgesetzte Regeln, die der Verteilung der Art im Lebensraum dienen. Heranwachsende männliche Löwen zum Beispiel werden aus dem elterlichen Rudel vertrieben, wo ihre weiblichen Verwandten bleiben und sie in Versuchung führen würden. Sie pflanzen sich nur fort, wenn es ihnen gelingt, die Herrschaft über ein anderes Rudel zu erobern. In Schimpansen- und Gorillagesellschaften sind

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