Das egoistische Gen
es gewöhnlich die jungen Weibchen, die sich entfernen, um Partner in anderen Gruppen zu suchen. Beide Mechanismen der Ausbreitung, ebenso wie das System der Wachteln, findet man auch in Kulturen unserer eigenen Art.
9 Dies trifft wahrscheinlich auf die meisten Vogelarten zu. Dennoch sollten wir nicht erstaunt sein, wenn wir herausfinden, daß einige Vögel in den Nestern ihrer eigenen Art als Parasiten auftreten. Und in der Tat wird dieses Phänomen bei immer mehr Arten entdeckt, vor allem seit man neue molekularbiologische Techniken benutzt, um festzustellen, wer mit wem verwandt ist. Die Theorie des Genegoismus könnte sogar erwarten lassen, daß innerartlicher Brutparasitismus noch verbreiteter ist, als wir bis heute wissen.
10 Das Gewicht, das Bertram auf die Familienselektion als Hauptmotor für die Zusammenarbeit unter Löwen legt, ist von C. Packer und A. Pusey in Frage gestellt worden. Sie behaupten, daß in vielen Rudeln die beiden Löwenmännchen nicht miteinander verwandt sind. Packer und Pusey vertreten die These, wechselseitiger Altruismus sei als Erklärung für die Zusammenarbeit unter Löwen mindestens ebenso wahrscheinlich wie die Familienselektion. Wahrscheinlich haben beide Seiten recht. In Kapitel 12 betone ich, daß Handeln auf Gegenseitigkeit („Wie du mir, so ich dir“) nur dann durch Evolution entstehen kann, wenn anfänglich eine kritische Mindestzahl von Individuen mit entsprechendem Verhalten vorhanden ist.
Dadurch wird eine vernünftige Chance sichergestellt, daß ein möglicher Partner ein „Erwiderer“ ist. In diesem Zusammenhang mag Verwandtschaft eine entscheidende Rolle spielen.
Verwandte sind einander von Natur aus ähnlich, so daß die kritische Häufigkeit innerhalb einer Familie gegeben sein kann, selbst wenn sie in der Population als Ganzes nicht erreicht wird.
Vielleicht begann die Zusammenarbeit unter Löwen durch die Familieneffekte, wie Bertram sie anführt, und dies schuf die erforderlichen Voraussetzungen zur selektiven Begünstigung der Reziprozität. Die Auseinandersetzung in bezug auf die Löwen kann nur anhand von Fakten beigelegt werden, und Fakten sagen uns stets nur etwas über den speziellen Fall, nicht über die allgemeine theoretische Behauptung.
11 Es ist jetzt weithin verstanden, daß ein eineiiger Zwilling theoretisch ebenso wertvoll für mich ist, wie ich es selbst bin – solange der Zwilling wirklich garantiert eineiig ist. Nicht so weithin verstanden ist die Tatsache, daß das gleiche auch auf eine garantiert monogame Mutter zutrifft. Wenn ein Individuum mit Sicherheit weiß, daß seine Mutter weiterhin – und ausschließlich – die Kinder seines Vaters gebären wird, so ist die Mutter für dieses Individuum genetisch ebenso wertvoll wie ein eineiiger Zwilling oder wie das Individuum selbst. Stellen wir uns vor, jemand sei eine Nachkommen produzierende Maschine. Dann ist seine monogame Mutter eine Maschine, die leibliche Geschwister produziert, und Vollgeschwister sind genetisch ebenso wertvoll wie eigene Nachkommen. Natürlich lassen wir hier alle möglichen praktischen Überlegungen außer acht. Beispielsweise ist die Mutter eines Individuums älter als dieses Individuum, obgleich die Frage, ob dies sie für die zukünftige Reproduktion besser oder schlechter geeignet sein läßt als das Individuum selbst, von den besonderen Umständen abhängt – eine allgemeingültige Regel gibt es dafür nicht.
Die obige Argumentation geht von der Annahme aus, daß die Mutter des Individuums mit absoluter Sicherheit weiterhin Kinder seines Vaters, aber keine Kinder von anderen männlichen Partnern erzeugt. Das Ausmaß, in dem man sich darauf verlassen kann, ist von dem Paarungssystem der Art abhängig. Wenn das Individuum einer Art angehört, in der Promiskuität die Regel ist, kann es nicht damit rechnen, daß die Nachkommen seiner Mutter seine Vollgeschwister sind.
Sogar unter idealen monogamen Verhältnissen gibt es einen scheinbar unwiderlegbaren Grund dafür, daß es für das Individuum weniger sicher ist, auf seine Mutter zu setzen als auf sich selbst: Sein Vater kann sterben. Wenn der Vater des Individuums tot ist, kann es von seiner Mutter beim besten Willen kaum erwarten, daß sie weiterhin dessen Kinder zur Welt bringt, oder etwa doch?
Nun, tatsächlich kann es das doch. Die Umstände, unter denen dies möglich ist, sind aus offensichtlichen Gründen von großem Interesse für die Theorie der Familienselektion. Als Säugetiere
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