Das egoistische Gen
sie seit langem verstehen, ist unter Biologen heute sogar noch stärker in Ungnade gefallen als zu der Zeit, als meine erste Auflage veröffentlicht wurde. Allerdings könnte ich dem Leser verzeihen, wenn er das Gegenteil vermutet: Es ist – besonders in Amerika – eine Generation herangewachsen, die mit dem Wort „Gruppenselektion“ wie mit Konfetti um sich wirft. Sie streut es über alle möglichen Arten von Fällen aus, die zuvor eindeutig und problemlos als etwas anderes aufgefaßt wurden (und von uns anderen immer noch so aufgefaßt werden), etwa als Familienselektion. Ich nehme an, es ist zwecklos, über solche semantischen Parvenus allzu ärgerlich zu werden. Nichtsdestoweniger: Die ganze Frage der Gruppenselektion war vor einem Jahrzehnt von John Maynard Smith und anderen sehr zufriedenstellend beigelegt worden, und es ist irritierend festzustellen, daß wir jetzt in zwei Generationen und auch in zwei Nationen aufgespalten sind, die nur durch eine gemeinsame Sprache getrennt sind. Es ist besonders unglücklich, daß Philosophen, die jetzt verspätet das Feld betreten, gleich zu Beginn von dieser jüngsten Laune der Terminologie verwirrt werden. Ich empfehle Alan Grafens Essay Natural Selection, Kin Selection and Group Selection als ein gedanklich klares und, wie ich hoffe, nunmehr definitives Ausräumen des Neo-Gruppenselektions-Problems.
8. Der Krieg der Generationen
1 Robert Trivers, dessen Veröffentlichungen in den frühen siebziger Jahren zu meinen wichtigsten Inspirationen beim Verfassen der ersten Auflage dieses Buches gehörten und von dessen Gedanken vor allem Kapitel 8 geprägt ist, hat endlich sein eigenes Buch, Social Evolution , geschrieben. Ich empfehle es nicht nur um seines Inhalts willen, sondern auch wegen seines Stils: gedanklich klar, wissenschaftlich korrekt, aber mit gerade genug Anthropomorphismen, um Wichtigtuer auf den Arm zu nehmen, und gewürzt mit persönlichen, autobiographischen Nebenbemerkungen. Ich kann nicht umhin, eine dieser letzteren zu zitieren – sie ist einfach zu charakteristisch. Trivers beschreibt seine Erregung beim Beobachten der Beziehung zwischen zwei rivalisierenden Pavianmännchen in Kenia:
„Es gab noch einen anderen Grund für meine Aufregung, und das war eine unbewußte Identifikation mit Arthur. Arthur war ein großartiger Bursche in der Blüte seiner Jahre ...“
Trivers’ neues Kapitel über den Konflikt zwischen Eltern und ihren Jungen bringt das Thema auf den neuesten Stand. Viel ist seiner Arbeit aus dem Jahre 1974 nicht hinzuzufügen, abgesehen von einigen neuen faktischen Beispielen. Die Theorie hat den Test der Zeit bestanden. Mehr ins Detail gehende mathematische und genetische Modelle haben bestätigt, daß Trivers’ größtenteils verbale Beweisführung in der Tat aus der gegenwärtig akzeptierten Darwinschen Theorie folgt.
2 Alexander hat, in seinem 1980 veröffentlichten Buch Darwinism and Human Affairs (Seite 39), großzügig zugegeben, daß er unrecht hatte, als er behauptete, der Sieg der Eltern in dem Konflikt zwischen Eltern und ihren Jungen folge unausweichlich aus grundlegenden darwinistischen Annahmen. Es kommt mir jetzt so vor, als könne seine These, daß die Eltern im Kampf der Generationen einen asymmetrischen Vorteil gegenüber ihren Jungen genießen, durch ein Argument anderer Art gestützt werden, mit dem mich Eric Charnov bekannt machte.
Charnov schrieb über staatenbildende Insekten und die Ursprünge unfruchtbarer Kasten, aber sein Argument hat eine allgemeinere Gültigkeit, und ich werde es in allgemeiner Form ausdrücken. Stellen wir uns ein junges Weibchen einer monogamen Art – nicht notwendigerweise ein Insekt – auf der Schwelle zum Erwachsenenleben vor. Es steht vor dem Dilemma, ob es das Nest verlassen und versuchen soll, sich auf sich allein gestellt zu reproduzieren, oder ob es im elterlichen Nest bleiben und bei der Aufzucht seiner jüngeren Brüder und Schwestern mithelfen soll. Auf Grund der Fortpflanzungsgewohnheiten seiner Art kann es darauf vertrauen, daß seine Mutter ihm noch für eine lange Zeit weiterhin Brüder und Schwestern schenken wird. Nach Hamiltons Logik sind diese Geschwister für das Weibchen genetisch ebenso „wertvoll“, wie seine eigenen Nachkommen dies wären. Soweit es um den genetischen Verwandtschaftsgrad geht, sind die beiden Handlungsmöglichkeiten für das junge Weibchen gleich; ob es geht oder bleibt, macht für es selbst keinen Unterschied. Aber für seine
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