Das egoistische Gen
Grundlage der Geschlechterrollen zu betonen. Selbst wenn ein einzelnes Spermium klein und billig ist, ist es alles andere als billig, Millionen von Spermien zu produzieren und gegen all die Konkurrenz in ein Weibchen hineinzupraktizieren. Heute ziehe ich es vor, die grundlegende Asymmetrie zwischen Männchen und Weibchen folgendermaßen zu erklären: Nehmen wir an, wir beginnen mit zwei Geschlechtern, die keine der besonderen Attribute von Männchen und Weibchen besitzen. Geben wir ihnen die neutralen Namen A und B. Wir brauchen lediglich festzulegen, daß alle Paarungen zwischen A und B vor sich gehen müssen.
Nun sieht sich jedes Tier, ob A oder B, der Notwendigkeit eines Kompromisses gegenüber. Zeit und Anstrengung, die auf den Kampf mit Rivalen verwandt werden, können nicht zum Aufziehen existierender Nachkommen genutzt werden und umgekehrt. Man kann erwarten, daß jedes Tier seine Anstrengung in einem konstanten Verhältnis auf diese beiden rivalisierenden Ziele verteilt. Nun ist es aber möglich, und das ist der Punkt, auf den ich hinauswill, daß sich das Geschlecht A bei einem anderen Gleichgewicht einspielt als B, und wenn sie dies tun, wird sich wahrscheinlich ein immer größer werdender Unterschied zwischen ihnen einstellen.
Um dies nachzuvollziehen, nehmen wir an, daß die beiden Geschlechter A und B sich von Anfang an darin unterscheiden, ob sie ihren Erfolg stärker durch Investition in Kinder oder durch Investition in Kämpfe beeinflussen können. (Ich werde den Ausdruck „kämpfen“ für alle Sorten direkter Konkurrenz innerhalb desselben Geschlechts benutzen.) Anfänglich kann der Unterschied zwischen den Geschlechtern sehr gering sein, denn ich will ja gerade beweisen, daß er eine inhärente Tendenz besitzt, immer größer zu werden. Nehmen wir an, bei Geschlecht A ist zu Anfang das Kämpfen entscheidender für den Fortpflanzungserfolg als elterliche Fürsorge; bei B dagegen trägt zu Beginn die elterliche Fürsorge ein wenig mehr als das Kämpfen zur Variation des Fortpflanzungserfolgs bei. Dies bedeutet zum Beispiel, daß die Angehörigen des Geschlechts A zwar selbstverständlich von der elterlichen Fürsorge profitieren, der Unterschied zwischen einem erfolgreich und einem nicht erfolgreich pflegenden Elternteil bei ihnen jedoch kleiner ist als der zwischen einem erfolgreichen und einem nicht erfolgreichen Kämpfer. Beim Geschlecht B trifft genau das Gegenteil zu. Bei gegebenem Aufwand kann A also durch Kämpfen einen Gewinn erzielen, wohingegen B mit größerer Wahrscheinlichkeit profitiert, wenn er seine Anstrengungen zu Lasten des Kämpfens verstärkt auf die elterliche Fürsorge lenkt.
In jeder Generation wird daher das Geschlecht A ein bißchen mehr kämpfen als in der vorhergehenden, und das Geschlecht B wird ein bißchen weniger kämpfen und ein wenig mehr Fürsorge üben. Nun wird der Unterschied zwischen dem besten und dem schlechtesten A, was das Kämpfen betrifft, sogar noch größer und der Unterschied zwischen dem besten und dem schlechtesten A in bezug auf Elternfürsorge sogar noch geringer sein. Daher hat ein A sogar noch mehr dadurch zu gewinnen, daß er seine Kräfte auf das Kämpfen richtet, und sogar noch weniger dadurch, daß er seine Anstrengungen in die Fürsorge steckt. Genau das Umgekehrte wird im Verlauf der Generationen auf das Geschlecht B zutreffen. Die Schlüsselüberlegung dabei ist, daß ein geringer anfänglicher Unterschied zwischen den Geschlechtern sich von allein vergrößert: Die Auslese kann bei einer leichten Differenz beginnen und sie größer und größer werden lassen, bis die Angehörigen des Geschlechts A das werden, was wir heute Männchen nennen, und die Individuen mit dem Geschlecht B das, was wir heute als Weibchen bezeichnen. Die anfängliche Differenz kann so klein sein, daß sie durch Zufall entstehen kann. Schließlich ist es sehr unwahrscheinlich, daß die Startbedingungen der beiden Geschlechter genau identisch sind.
Wie der Leser bemerken wird, ähnelt dies der von Parker, Baker und Smith entwickelten Theorie über die frühe Aufteilung der ursprünglichen Gameten in Spermien und Eizellen, die ich in Kapitel 9 erörtert habe. Das gerade ausgeführte Argument ist aber allgemeinerer Art. Die Trennung in Samen- und Eizellen ist nur ein Aspekt einer grundlegenderen Trennung der Geschlechterrollen. Statt sie als primär zu behandeln und alle charakteristischen Attribute von Männchen und Weibchen auf sie zurückzuführen, kennen wir
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