Das egoistische Gen
nicht vererbt.
Wieviel Kenntnisse und wieviel Weisheit wir während unseres Lebens auch erwerben mögen, nicht ein Jota davon wird unseren Kindern auf genetischem Wege weitergegeben. Jede neue Generation fängt ganz von vorn an. Ein Körper ist das Mittel, mit dessen Hilfe Gene sich unverändert fortpflanzen.
Die Tatsache, daß die Gene die Embryonalentwicklung steuern, ist für die Evolution bedeutsam, weil die Gene damit zumindest zum Teil selbst für ihr weiteres Überleben verantwortlich sind: Ihr Fortbestand ist von der Effizienz der Körper abhängig, in denen sie leben und an deren Bau sie beteiligt waren. Früher einmal bestand die natürliche Selektion darin, daß die frei im Urmeer treibenden Replikatoren unterschiedliche Überlebenschancen hatten. Heute begünstigt die natürliche Auslese Replikatoren, die fähige Konstrukteure von Überlebensmaschinen sind, Gene, die die Kunst der Steuerung der Embryonalentwicklung beherrschen. Dabei agieren die Replikatoren keineswegs bewußter oder zielgerichteter als zuvor. Dieselben altbewährten Prozesse der automatischen Selektion unter konkurrierenden Molekülen je nach ihrer Langlebigkeit, Fruchtbarkeit und Kopiergenauigkeit gehen immer noch ebenso blind und ebenso unvermeidlich weiter wie in längst vergangenen Tagen. Gene besitzen keine Voraussicht; sie planen nicht. Gene existieren ganz einfach, und einige existieren häufiger als andere – das ist alles. Aber die Eigenschaften, welche die Langlebigkeit und Fruchtbarkeit eines Gens bestimmen, sind nicht mehr so einfach, wie sie einmal waren. Bei weitem nicht.
In letzter Zeit – in den letzten 600 Millionen Jahren etwa – haben die Replikatoren in der Technologie der Überlebensmaschinen bemerkenswerte Triumphe erzielt, beispielsweise die Konstruktion von Muskeln, Herz und Augen (die mehrmals unabhängig voneinander entwickelt wurden).
Zuvor hatten sie wesentliche Merkmale ihrer Lebensweise als Replikatoren von Grund auf geändert, was wir verstehen müssen, wenn wir die Erörterung weiterführen wollen.
Das erste, was man über einen modernen Replikator wissen muß, ist, daß er in großen Scharen auftritt. Eine Überlebensmaschine ist ein Vehikel, das nicht einfach nur ein Gen, sondern viele Tausende von Genen enthält. Die Produktion eines Körpers ist ein derart verwickeltes kooperatives Unterfangen, daß es fast unmöglich ist, die Beiträge der einzelnen Gene auseinanderzuhalten. Ein Gen hat gewöhnlich viele verschiedene Auswirkungen auf ganz verschiedene Teile des Körpers. Jeder Teil des Körpers wird von zahlreichen Genen beeinflußt, und der Effekt jedes einzelnen Gens ist von der Interaktion mit vielen anderen Genen abhängig. Manche Gene fungieren als Dirigenten für Gruppen anderer Gene, deren Tätigkeit sie kontrollieren. In unserer bildhaften Sprache ausgedrückt, enthält jede beliebige Seite der Pläne Hinweise auf viele verschiedene Teile des Gebäudes und ergibt selbst nur unter Beachtung der Querverweise auf zahlreiche andere Seiten Sinn.
Diese verwickelte gegenseitige Abhängigkeit der Gene mag den Leser zu der Frage veranlassen, warum wir überhaupt das Wort „Gen“ benutzen. Warum verwenden wir nicht ein Kollektivum wie „Genkomplex“? Die Antwort lautet, daß dies für viele Zwecke tatsächlich eine recht gute Idee wäre. Betrachten wir die Dinge jedoch von einer anderen Seite, so ist es durchaus sinnvoll, sich den Genkomplex als in einzelne Replikatoren oder Gene aufgespalten vorzustellen. Der Grund dafür ist das Phänomen der Sexualität. Die geschlechtliche Fortpflanzung bewirkt eine Mischung und Umgruppierung von Genen. Das bedeutet, daß der einzelne Körper lediglich ein vorübergehender Behälter für eine kurzlebige Kombination von Genen ist. Die Genkombination, welche jedes einzelne Individuum verkörpert, mag von kurzer Lebensdauer sein, die Gene selbst jedoch haben potentiell eine sehr hohe Lebensdauer. Im Ablauf der Generationen kreuzen sich ihre Wege ständig und immer von neuem. Ein Gen läßt sich als eine Einheit auffassen, die eine Vielzahl aufeinanderfolgender individueller Körper überlebt. Dies ist der zentrale Gedankengang, den ich in diesem Kapitel entwickeln möchte. Es ist ein Gedanke, dem beizupflichten sich einige meiner angesehensten Kollegen hartnäckig weigern; der Leser mag mir darum verzeihen, wenn ich ihn etwas zu ausführlich darzulegen scheine! Doch zunächst muß ich kurz erläutern, was es mit der Sexualität auf sich hat.
Ich hatte
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