Das egoistische Gen
Verbesserungen zur Verfügung stehen. Welche sonderbaren Selbsterhaltungsmaschinen würden die Jahrtausende hervorbringen? Welches Schicksal würde vier Milliarden Jahre später den alten Replikatoren beschieden sein? Sie starben nicht aus, denn sie sind unübertroffene Meister in der Kunst des Überlebens. Doch dürfen wir sie nicht frei im Meer umhertreibend suchen; dieses ungebundene Leben haben sie seit langem aufgegeben. Heute drängen sie sich in riesigen Kolonien, sicher im Innern gigantischer, schwerfälliger Roboter 3 , hermetisch abgeschlossen von der Außenwelt; sie verständigen sich mit ihr auf gewundenen, indirekten Wegen, manipulieren sie durch Fernsteuerung.
Sie sind in dir und in mir, sie schufen uns, Körper und Geist, und ihr Fortbestehen ist der letzte Grund unserer Existenz. Sie haben einen weiten Weg hinter sich, diese Replikatoren. Heute tragen sie den Namen Gene, und wir sind ihre Überlebensmaschinen.
3. Die unsterblichen Spiralen
Wir sind Überlebensmaschinen, aber mit dem Wort „wir“ sind nicht nur wir Menschen gemeint. Es umfaßt alle Tiere, Pflanzen, Bakterien und Viren. Die Gesamtzahl der Überlebensmaschinen ist schwer zu bestimmen, und selbst die genaue Zahl der Arten ist unbekannt. Nehmen wir allein die Insekten: Schätzungen zufolge gibt es ungefähr drei Millionen rezente Arten, und die Zahl der einzelnen Insekten beträgt vielleicht eine Trillion.
Die verschiedenen Typen von Überlebensmaschinen unterscheiden sich in ihrer äußeren Erscheinung und ihren inneren Organen erheblich. Ein Krake hat keinerlei Ähnlichkeit mit einer Maus, und beide sind völlig anders als eine Eiche. Biochemisch gesehen jedoch gleichen sie sich weitgehend, und vor allem sind die Replikatoren, die sie in sich tragen, die Gene, im Grunde in uns allen – von den Bakterien bis hin zu den Elefanten – die gleiche Art von Molekül. Wir sind alle Überlebensmaschinen für dieselbe Art von Replikator, für Moleküle mit dem Namen DNA. Doch auf der Welt sind vielerlei verschiedene Lebensweisen möglich, und die Replikatoren haben ein breites Spektrum von Maschinen gebaut, um sie sich alle zunutze zu machen. Ein Affe ist eine Maschine, die für den Fortbestand von Genen auf Bäumen verantwortlich ist, ein Fisch ist eine Maschine, die Gene im Wasser fortbestehen läßt, und es gibt sogar einen kleinen Wurm, der für den Fortbestand von Genen in deutschen Bierdeckeln sorgt. Die DNA geht rätselhafte Wege.
Der Einfachheit halber habe ich so getan, als seien die modernen, aus DNA bestehenden Moleküle ziemlich genau dasselbe wie die ersten Replikatoren in der Ursuppe. Für unsere Erörterung spielt das keine große Rolle, aber es entspricht möglicherweise nicht ganz der Wahrheit. Vielleicht waren die ursprünglichen Replikatoren eine der DNA verwandte Art von Molekülen, sie können aber auch völlig anders gewesen sein. Im letzteren Fall könnten wir sagen, daß sich die DNA ihre Überlebensmaschinen irgendwann angeeignet haben muß. Wenn dies so war, dann sind die ursprünglichen Replikatoren restlos zerstört worden, denn in den modernen Überlebensmaschinen ist keinerlei Spur von ihnen zurückgeblieben. Von diesen Überlegungen ausgehend, hat A. G. Cairns-Smith die faszinierende Hypothese aufgestellt, daß unsere Stammeltern, die ersten Replikatoren, möglicherweise überhaupt keine organischen Moleküle waren, sondern anorganische Kristalle – Mineralien, kleine Stückchen Ton. Usurpator oder nicht, die DNA ist heute unbestritten an der Macht, es sei denn, wir stehen gerade jetzt, wie meine Gedankenspielerei in Kapitel 11 suggeriert, am Beginn einer neuen Machtübernahme.
Die DNA ist eine lange Kette aus Bausteinen, kleinen Molekülen, die man als Nucleotide bezeichnet. So wie Eiweißmoleküle Ketten von Aminosäuren sind, so sind DNA-Moleküle Nucleotidketten. Ein DNA-Molekül ist zu klein, als daß man es sehen könnte, aber durch scharfsinnige Überlegungen hat man seine genaue Gestalt auf indirekte Weise ermittelt. Es besteht aus einem Paar Nucleotidketten, die gemeinsam zu einer eleganten Spirale gedreht sind – der „Doppelhelix“ oder „unsterblichen Spirale“. Die Nucleotidbausteine kommen in nur vier verschiedenen Formen vor, deren Namen mit den Buchstaben A, T, C und G abgekürzt werden können. Sie sind in allen Tieren und Pflanzen gleich. Verschieden ist nur die Reihenfolge, in der sie miteinander verknüpft sind. Ein G-Baustein eines Menschen ist in jeder Einzelheit mit einem
Weitere Kostenlose Bücher