Das egoistische Gen
mütterlichen und väterlichen Genen.
Hier beginnt unser Bild von dem Gen als einer Seite in einem Buch oder Schnellhefter uns im Stich zu lassen. Man kann bei einem Schnellhefter eine ganze Seite einfügen, herausnehmen oder auswechseln, aber mit einem Bruchstück einer Seite kann man dies nicht tun. Der Genkomplex ist aber lediglich eine lange Reihenfolge von Nucleotidbuchstaben, die keineswegs deutlich in einzelne Seiten unterteilt sind. Zwar gibt es spezielle Symbole für „Ende der Proteinketteninformation“ und „Anfang der Proteinketteninformation“, die in demselben Alphabet aus vier Buchstaben aufgezeichnet sind wie die Information für das Protein selbst. Zwischen diesen beiden Interpunktionszeichen befinden sich die codierten Anweisungen zur Herstellung eines Proteins. Wenn wir wollen, können wir ein einzelnes Gen als eine Sequenz von Nucleotidbuchstaben definieren, die zwischen einem Symbol für „Anfang“ und einem Symbol für „Ende“ liegen und eine Eiweißkette codieren. Eine auf diese Weise definierte Einheit ist mit dem Wort Cistron bezeichnet worden, und einige Leute verwenden das Wort Gen gleichbedeutend mit Cistron.
Doch das Crossing-Over beachtet die Grenzen zwischen Cistrons nicht. Teilungen können ebensogut mitten in einem Cistron wie zwischen zwei Cistrons vorkommen. Es ist so, als wären die Pläne des Architekten nicht auf getrennten Seiten aufgezeichnet, sondern auf 46 Rollen Papierstreifen. Cistrons haben keine feststehende Länge. Die einzige Möglichkeit zu erkennen, wo ein Cistron aufhört und das nächste anfängt, wäre die, die Symbole auf dem Streifen zu lesen und nach den Zeichen für „Ende der Information“ und „Anfang der Information“ zu suchen. Das Crossing-Over geht so vor sich, daß alternative Papierstreifen väterlicher und mütterlicher Herkunft herausgegriffen und zerschnitten und entsprechende Abschnitte gegeneinander ausgetauscht werden, ohne Rücksicht auf das, was darauf geschrieben steht.
Das Wort Gen im Titel dieses Buches bedeutet nicht ein einzelnes Cistron, sondern etwas schwerer zu Fassendes.
Meine Definition wird nicht nach jedermanns Geschmack sein, doch es gibt keine allgemein anerkannte Definition eines Gens. Wir können ein Wort definieren, wie es uns für unsere Zwecke gefällt, vorausgesetzt, wir tun dies deutlich und unmißverständlich. Die Definition, die ich benutzen möchte, stammt von G. C. Williams. 2 Ein Gen ist definiert als jedes beliebige Stück Chromosomenmaterial, welches potentiell so viele Generationen überdauert, daß es als eine Einheit der natürlichen Auslese dienen kann. In der Sprache des vorigen Kapitels ausgedrückt, ist ein Gen ein Replikator mit hoher Kopiergenauigkeit. Kopiergenauigkeit ist ein anderes Wort für „Langlebigkeit in Gestalt von Kopien“, und ich werde dies einfach mit Langlebigkeit abkürzen. Diese Definition verlangt einige Rechtfertigung.
Allen Definitionen zufolge ist ein Gen ein Stück eines Chromosoms. Die Frage ist nur, ein wie großes Stück – wieviel von der Papierrolle? Stellen wir uns eine beliebige Sequenz nebeneinanderliegender Codebuchstaben auf der Rolle vor. Geben wir dieser Sequenz den Namen genetische Einheit. Sie könnte eine Reihe von lediglich zehn Buchstaben innerhalb eines Cistrons sein, sie könnte aus einer Folge von acht Cistrons bestehen, und sie könnte in der Mitte eines Cistrons anfangen und in der Mitte eines Cistrons aufhören. Sie wird sich mit anderen genetischen Einheiten überschneiden. Sie wird kleinere Einheiten enthalten und selbst Teil größerer Einheiten sein. Gleichgültig, wie lang oder wie kurz, für die Zwecke unserer gegenwärtigen Überlegung werden wir dies eine genetische Einheit nennen. Sie ist nichts anderes als ein Chromosomenabschnitt, der sich physisch in keinerlei Weise vom Rest des Chromosoms unterscheidet.
Jetzt kommt der wichtige Punkt. Je kürzer eine genetische Einheit ist, desto länger – in Generationen gemessen – wird sie wahrscheinlich leben. Um so geringer ist vor allem die Wahrscheinlichkeit, daß sie bei irgendeinem Crossing-Over aufgespalten wird. Stellen wir uns vor, daß ein ganzes Chromosom jedesmal, wenn durch meiotische Teilung eine Samen- oder Eizelle entsteht, durchschnittlich einem Crossing-Over ausgesetzt ist und daß dieses Crossing-Over an jeder Stelle seiner gesamten Länge stattfinden kann. Betrachten wir eine sehr große genetische Einheit von beispielsweise der halben Länge eines Chromosoms, so
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