Das egoistische Gen
war, als ich sie zum ersten Mal hörte.“ Ich bin froh, daß ich jenes „obwohl“ hinzugefügt habe, denn Zahavis Theorie scheint heute weit glaubwürdiger zu sein als damals. Mehrere geachtete Theoretiker haben neuerdings begonnen, sie ernst zu nehmen. Am meisten beunruhigt mich, daß zu ihnen mein Kollege Alan Grafen gehört, der, wie bereits irgendwo gedruckt steht, „die höchst ärgerliche Gewohnheit hat, immer recht zu haben“. Er übertrug Zahavis in Worten ausgedrückte Ideen in ein mathematisches Modell und behauptet, es funktioniere. Außerdem sei sein Modell im Gegensatz zu den Spielereien anderer kein verrücktes, esoterisches Zerrbild von Zahavis Theorie, sondern eine unmittelbare mathematische Übersetzung. Ich werde Grafens ursprüngliche ESS-Version seines Modells erörtern, obgleich er selbst jetzt an einer rein genetischen Version arbeitet, die in verschiedener Hinsicht über das ESS-Modell hinausreichen wird.
Dies bedeutet nicht, daß das ESS-Modell falsch ist. Es ist eine gute Annäherung. Tatsächlich sind alle ESS-Modelle, einschließlich derjenigen in diesem Buch, in demselben Sinne Annäherungen.
Das Handikap-Prinzip ist prinzipiell auf alle Situationen anwendbar, in denen Individuen die Qualität anderer Individuen zu beurteilen versuchen, aber wir werden uns darauf beschränken, von Männchen zu sprechen, die sich Weibchen anpreisen. Dies um der Klarheit willen; es ist einer jener Fälle, in denen der Sexismus von Pronomen wirklich nützlich ist.
Grafen bemerkt, daß es mindestens vier Möglichkeiten gibt, das Handikap-Prinzip aufzufassen. Es sind dies: das Qualifizierende Handikap (jedes Männchen, das trotz seines Handikaps überlebt hat, muß ansonsten ziemlich gut sein, daher wählen Weibchen es aus); das Enthüllende Handikap (Männchen vollbringen eine beschwerliche Aufgabe, um ihre sonst verborgenen Fähigkeiten aufzuzeigen); das Bedingte Handikap (nur hervorragende Männchen entwickeln überhaupt ein Handikap); und schließlich Grafens bevorzugte Interpretation, die er das Strategisch gewählte Handikap nennt (Männchen haben Informationen über ihre eigene Qualität, die den Weibchen verborgen sind, und sie „entscheiden“ auf der Grundlage dieser Informationen, ob sie ein Handikap entwickeln oder nicht und wie groß es sein sollte). Grafens Interpretation des Strategisch gewählten Handikaps eignet sich zur ESS-Analyse. Es besteht keine vorherige Annahme, daß die Mittel, mit denen die Männchen für sich werben, teuer sein oder ein Handikap bilden werden. Ganz im Gegenteil, die Männchen können jede Art von Reklame entwickeln, ehrlich oder unehrlich, teuer oder billig. Aber Grafen zeigt, daß ein Handikap-System, wenn man ihm diese Startfreiheit erlaubt, sich wahrscheinlich als evolutionär stabil herausstellt. Er geht dabei von vier Annahmen aus:
1. Die Männchen unterscheiden sich qualitativ. Qualität ist keine vage Eigenschaft, auf die man auf snobistische, gedankenlose Weise stolz sein kann, etwa der Besuch einer bestimmten Universität oder die Zugehörigkeit zu einer Bruderschaft.
(Ich erhielt einmal einen Brief von einem Leser, der mit dem Satz schloß: „Ich hoffe, Sie halten dies nicht für arrogant, aber schließlich bin ich Balliol-Schüler“.) Für Grafen bedeutet Qualität, daß es so etwas wie gute Männchen und schlechte Männchen gibt in dem Sinne, daß Weibchen genetisch davon profitieren, wenn sie sich mit guten Männchen paaren und schlechte vermeiden. Qualität bedeutet Dinge wie Muskelstärke, Laufgeschwindigkeit, die Fähigkeit, Beute zu finden oder gute Nester zu bauen. Wir sprechen nicht über den tatsächlichen Fortpflanzungserfolg eines Männchens, da dieser davon beeinflußt wird, ob es von den Weibchen ausgewählt wird oder nicht. Würden wir zu diesem Zeitpunkt darüber sprechen, so würde dies bedeuten, daß wir den fraglichen Punkt von vornherein als bewiesen ansehen, während das Modell ihn bestätigen kann oder nicht.
2. Die Weibchen können die Qualität der Männchen nicht direkt erkennen, sondern müssen sich an deren Reklame orientieren. Zu diesem Zeitpunkt machen wir keine Annahme darüber, ob die Reklame ehrlich ist. Ehrlichkeit ist etwas, das aus dem Modell hervorgehen kann oder nicht; wiederum ist dies der Zweck des Modells. Ein Männchen könnte zum Beispiel gepolsterte Schultern entwickeln, um Größe und Stärke vorzuspiegeln. Es ist Aufgabe des Modells, uns zu zeigen, ob ein solches vorgespiegeltes Signal
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