Das egoistische Gen
Verhalten vererbt werden könnte.
Honigbienen leiden unter einer ansteckenden Krankheit, die Brutfäule genannt wird. Sie befällt die Larven in ihren Zellen. Von den zahmen Rassen, die die Imker verwenden, sind einige mehr durch Brutfäule gefährdet als andere, und es hat sich herausgestellt, daß der Unterschied zwischen den Völkern zumindest in einigen Fällen ein Verhaltensunterschied ist. Es gibt die sogenannten hygienischen Völker, die Epidemien rasch stoppen, indem sie die infizierten Larven lokalisieren, aus ihren Zellen zerren und aus dem Stock werfen.
Die anfälligen Völker sind anfällig, weil sie diesen hygienischen Kindesmord nicht praktizieren. Das tatsächlich für diese Gesundheitspflege erforderliche Verhalten ist recht kompliziert: Die Arbeiterinnen müssen die Zellen aller kranken Larven lokalisieren, den Wachsverschluß von der Zelle entfernen, die Larve herausziehen, sie durch den Eingang des Bienenstockes zerren und auf den Müllplatz werfen.
Die Durchführung genetischer Experimente mit Bienen ist aus verschiedenen Gründen eine ziemlich komplizierte Angelegenheit. Die Arbeiterinnen selbst reproduzieren sich gewöhnlich nicht, man muß daher die Königin eines Volkes mit einer Drohne (einem Männchen) eines anderen Volkes kreuzen und das Verhalten der Tochtergeneration von Arbeiterinnen beobachten. Genau das hat W. C. Rothenbuhler getan. Er stellte fest, daß alle hybriden Tochterstöcke in der ersten Generation keine Gesundheitspflege betrieben. Das Verhalten ihres hygienischen Elternteils schien verlorengegangen zu sein, obwohl die hygienischen Gene – wie sich später zeigen sollte – immer noch vorhanden waren: Sie waren rezessiv wie bei den Menschen die Gene für blaue Augen. Als Rothenbuhler die Hybriden in der ersten Generation mit einem reinerbigen hygienischen Volk „rückkreuzte“ (wobei er natürlich wieder Königinnen und Drohnen benutzte), erhielt er ein höchst eindrucksvolles Ergebnis: Die Tochterstöcke zerfielen in drei Gruppen. Eine dieser Gruppen zeigte perfektes hygienisches Verhalten, die zweite zeigte überhaupt kein hygienisches Verhalten, und die dritte hielt sich zwischen beiden. Diese letztere Gruppe entfernte zwar den Wachsdeckel der Waben, sie ging aber nicht so weit, die Larven hinauszuwerfen. Rothenbuhler argwöhnte, daß es zwei getrennte Gene geben müsse, eins für das Aufdecken der Zellen und eins für das Hinauswerfen. Die gewöhnlichen hygienischen Völker besitzen beide Gene, anfällige Völker statt dessen die Allele – das heißt die Rivalen – der beiden Gene. Die Mischlinge, die nur teilweise hygienisches Verhalten an den Tag legten, besaßen vermutlich nur das Gen für Aufdecken (in doppelter Ausfertigung), nicht aber das für Hinauswerfen. Rothenbuhler vermutete, daß seine Versuchsgruppe anscheinend völlig unhygienischer Bienen eine Untergruppe verbarg, die das Gen für Hinauswerfen besaß, es aber nicht realisieren konnte, da ihr das Gen für Aufdecken fehlte. Er bewies dies auf höchst elegante Weise, indem er selbst die Deckel entfernte. Tatsächlich zeigte die Hälfte der scheinbar unhygienischen Bienen daraufhin völlig normales Verhalten in bezug auf das Hinauswerfen. 6
Dieser Bericht veranschaulicht eine Reihe wichtiger Punkte, die im vorigen Kapitel zur Sprache kamen. Er zeigt, daß es völlig berechtigt sein kann, von einem „Gen für ein Verhalten x“ zu sprechen, selbst wenn wir nicht die geringste Ahnung haben, welche chemische Kette embryonaler Ursachen nun tatsächlich vom Gen zum Verhalten führt. Es könnte sich sogar herausstellen, daß die Kette der Ursachen das Lernen einschließt. Es wäre beispielsweise möglich, daß das Aufdeck-Gen seine Wirkung erzielt, indem es die Bienen mit einer Vorliebe für infiziertes Wachs ausstattet. Das heißt, daß sie den Genuß der Wachshauben, die die Opfer der Krankheit zudecken, als angenehm empfinden und ihn daher zu wiederholen suchen. Selbst wenn das Gen auf eine solche Weise funktioniert, ist es immer noch ein echtes Gen „für das Aufdecken“, vorausgesetzt, daß unter sonst gleichen Bedingungen Bienen, die das Gen besitzen, schließlich die Deckel entfernen, während Bienen, die das Gen nicht besitzen, dies nicht tun.
Zweitens veranschaulicht der Bericht die Tatsache, daß Gene in ihren Auswirkungen auf das Verhalten der gemeinschaftlichen Überlebensmaschine „zusammenarbeiten“. Das Hinauswerf-Gen ist sinnlos, solange es nicht von dem Aufdeck-Gen begleitet ist, und
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