Das Ei und ich
einst grünenden Hügel, die man voreilig ihres Baumbestandes beraubt hatte, um Platz für zukünftige Wohnhäuser zu schaffen, verloren ihre Frische, und der spärliche Grasbelag auf ihren Hängen war stets trocken und gelblich. Der Gerichtshof prunkte weiter wie eine pompöse Brosche auf einem zarten Busen, und die als Hochzeitsgabe bestimmten Wohnhäuser wurden griesgrämig vor Enttäuschung und schwerfällig hinter dem sie umwuchernden Gestrüpp.
Noch von früheren Zeiten her war ein kleiner, aber netter Armeeposten und eine Abteilung der Küstenwache in der Nähe installiert, jedoch die Stadt wehrte unfreundlich alle Annäherungsversuche ab und beschränkte sich darauf, mühselig Leib und Seele zusammenzuhalten, damit die verbliebenen kleinen Geschäfte existieren konnten, deren Hauptkundschaft sich aus den Landbewohnern der Umgebung rekrutierte, die allerdings immer geringschätzig von dem »einzigen erleuchteten Friedhof der Welt« sprachen, wenn von der Stadt die Rede war. Ich bildete eine ruhmreiche Ausnahme, denn für mich war der Begriff »Stadt« gleichbedeutend mit »Leben«.
Ich liebte den langgestreckten Bergrücken, über den sich die kurvenreiche Straße bis zur Stadt hinunterschlängelte; ich liebte das rötlich und grün schillernde Sumpfland am Fuß der Hügel; ich liebte die Gischtwellen im Hafen und die Sprühregen, die der Wind in die Straßen hinauftrug; ich liebte auch die verwahrlosten alten Häuser am Hafen, die ernst dreinblickten unter ihrer Schmutzkruste und um deren Fundamente das eisige Wasser gurgelte, und ich liebte das zurückhaltende Wesen der Stadt, ihre würdevolle Ruhe und die Ergebenheit, mit der sie sich in die Niederlage schickte.
Wir fuhren über die Hügel, bewunderten den Ausblick aufs Meer, besuchten dann die Läden und wußten schon beim öffnen der Ladentür, daß Farmer und Indianer hier die Kundschaft bildeten. Im Kolonialwarenladen roch es nach Schweiß, Käse, Backwaren und Dünger; in der Apotheke roch es nach Lakritze, Desinfektionsmitteln, Schweiß und Dünger; im Eisenwarengeschäft roch es nach eisernen Töpfen und Pfannen und nach Schweiß und Dünger. Der einzige Laden, der sich über diese Kundschaft erheben konnte, war die Konfiserie, weil hier fast ausschließlich die Einwohner der Stadt kauften. Ich sog die süßen Düfte genießerisch ein und erstand eine Tüte mit Vanille-Karamel (von der Besitzerin geziert Kormel genannt), die aber leider noch nicht trocken waren und sich hartnäckig zu Klumpen ballten, die ihrerseits wieder an der Papiertüte klebten. Mir blieb nichts anderes übrig, als an der braunen Masse zu lecken oder die Nase in die Tüte zu stecken und kleine Stückchen Karamel mit Papier abzubeißen und beides zu essen. Als mir die Sache zu dumm wurde, warf ich Klumpen und Papier weg und beobachtete interessiert die Möwen, die kreischend darüber herstürzten. Zu meinem großen Bedauern flogen sie nicht scharenweise mit den Schnäbeln aneinanderklebend auf, wie ich es insgeheim gehofft hatte.
Dieser Besuch in meiner vielgeliebten »Stadt« zeichnete sich durch drei glückliche Ereignisse aus. Erstens stellte es sich heraus, daß unser Bankkonto mit unseren Scheckbuchabschnitten übereinstimmte und es somit tatsächlich überraschend gut um uns stand. Zweitens bekamen wir einen Tip, wo wir ein Dutzend Leghühner für zehn Dollar ergattern könnten. Und drittens und letztens kauften wir uns ein Zwanzig-Liter-Fäßchen geschmuggelten Schnaps vom besten der Alkoholschmuggler am Platze, von denen es an die hundert zu geben schien. Der Schnaps hatte die satte Farbe leuchtenden Bernsteins und roch wundervoll anregend. Wir nahmen an diesem Abend zu Hause vor dem Nachtessen zur Feier des Tages jeder ein Gläschen, und die goldgelbe Flüssigkeit rann wie Feuer durch die Kehle und ließ funkelnde kleine Sternchen vor den Augen auftanzen.
Am nächsten Morgen frühstückten wir noch vor Anbruch des Tages und waren längst an der Arbeit, als die Sonne aufging. Wir schufteten schwer, denn bevor wir Nester und Sitzstangen in die große Scheune hineintun konnten, mußten wir altes Gerümpel ausräumen und das Gemäuer gut reinigen. An drei Seiten wurden die Fensteröffnungen ganz mit Glasgewebe verkleidet, an der vierten Seite nur bis zu halber Höhe, die andere Hälfte blieb als Auslauf frei. Das Glasgewebe war uns als »Gesundheitsglas« besonders empfohlen worden. Es filtrierte das Sonnenlicht und ließ nur die gesundheitsfördernden ultravioletten
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