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Das Ei und ich

Das Ei und ich

Titel: Das Ei und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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farbenfrohen Prospekt über sämtliche beim Gartenbau nötigen Werkzeuge. Bob bestellte sie ohne Ausnahme. Rundsägen, kurze Gartenscheren, lange Gartenscheren, kurze Scheren zum Baumbeschneiden, lange Scheren zum Baumbeschneiden, Messer und Äxte jeder Größe und jeder Form. Alles Werkzeug, geschaffen zum Zerstören.
    Den ersten Frühling begnügte sich Bob damit, seine Beschneidungswut an den Ranken und Sträuchern auszutoben. Mit wenigen, wohlgezielten Schnitten und Hieben wies er sie in ihre Schranken zurück, bis nur noch kleine Stümpfe da waren. Den nächsten Frühling machte er sich an den Obstgarten. »Das muß abgeknipst werden«, erklärte er mit gerunzelter Stirn, zog die fachmännische Broschüre zu Rate und trennte dann den einzigen fruchttragenden Ast vom Stamm. Woraufhin der Baum einging.
    »Schmarotzer!« wetterte er und machte dem allein noch lebensfähigen Schößling am Pflaumenbaum den Garaus. Natürlich ging der Baum ein, und Bob war zutiefst beleidigt. »Ich habe nur getan, was in der Broschüre empfohlen wird«, verteidigte er sich. »Aber vielleicht beziehen sich diese Vorschriften auf junge Bäume«, wagte ich einzuwenden, »während unsere Bäume mindestens vierzig oder fünfzig Jahre alt sind und keine Kraft mehr haben, sich zu erholen. «
    »Dann ist es auch nicht schade um sie«, erwiderte Bob unwirsch, aber als ich ihn darauf aufmerksam machte, daß die Kletterrose am Küchenfenster trotz seiner mörderischen Eingriffe am Leben blieb, machte er ein sehr befriedigtes Gesicht.
    Kaum waren wir mit dem Pflügen und Pflanzen fertig, wurde der große Hühnerstall in Angriff genommen. Bisher hatten wir unsere Einkäufe in der näheren Umgebung getätigt, das Baumaterial in der Sägemühle und die Spezereien im dörflichen Kompanieladen erworben. Doch jetzt brauchten wir ausgefallene Dinge wie Glaswolle und schweres Drahtgeflecht, und darum beschlossen wir, einen Abstecher in die »Stadt« zu machen.
    Die »Stadt« war das sonnabendliche Mekka der näheren und weiteren Umgebung. Eine reizlose alte Jungfer von einer Stadt, verwittert und aus den Fugen durch den unbarmherzigen Griff der Winde und ohne den Lack des Wohlstandes. Vor Jahren war die »Stadt« auf Grund ihrer reichen Mitgift an Nutzholz und des großzügigen Hafens zur Schönheitskönigin der Nordwestecke des Stillen Ozeans erkoren worden, und eine gewichtige Eisenbahngesellschaft machte ihr den Hof. Die Verwandten und Bekannten der glücklichen Braut, in diesem Fall die Stadtväter, ließen sich nicht lumpen und warteten mit einer eindrucksvollen Aussteuer von mehreren drei- und vierstöckigen Mietshäusern, einem imposanten Gerichtshof und zahlreichen hochtrabenden Plänen für zukünftige Industrien und unweigerlich damit verbundenen Reichtum auf.
    Die Bewohner legten natürlich bei so viel Geschäftigkeit nicht die Hände in den Schoß und ließen sich zu Ehren der bevorstehenden Hochzeit reich verschnörkelte Wohnhäuser im frühviktorianischen Stil bauen. Unglücklicherweise brach gerade am Vorabend der Feier ein Sturm über Hafen und Stadt herein, der die Hafenanlagen zerstörte, einen friedlich des Weges kommenden Frachter hochhob und niedersausen ließ, daß er quer vor der Hafeneinfahrt zu liegen kam und den gesamten Verkehr lahmlegte. Der Bräutigam runzelte die Brauen, und leise Zweifel an der Sanftheit der Braut nisteten sich in seinem Herzen ein. Genauere Nachforschungen ergaben, daß sie, abgesehen von ihrem wetterwendischen Charakter, Tag und Nacht, jahraus, jahrein von Stürmen gepeitscht wurde. In der Panik des Jahres 1893, ein Jahr nach den ersten Annäherungsversuchen, ließ der Eisenbahnliebhaber die bis dato auserkorene Stadt fallen wie eine heiße Kartoffel, an der man sich die Finger verbrannt hat, und schon wenige Monate später bemühte er sich ernsthaft um mehrere andere Schöne der gleichen Küste.
    Die arme kleine Stadt erholte sich nie von diesem schweren Schlag. Sie zog die Rolläden herunter, vernichtete das blumenumrankte Plakat mit der Begrüßung »Willkommen« und überließ sich ihrem Schmerz um den verlorenen Geliebten. Ihre Hauptstraße wurde eine öde Gasse, flankiert von leeren Häusern, verschandelt von heruntergefallenen Dachziegeln und losen Brettern und nur besucht von Ratten und dem Wind. An den dem Meer zu gelegenen Straßenmündungen entstanden an Stelle der erhofften blühenden Industrien kleine Sümpfe, die je nach der Jahreszeit von blassem Rot über Lila zu Weinrot wechselten. Die

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