Das Ei und ich
Brutraums war mit Sackleinwand und einer Schicht Torfstreu belegt; Trink- und Futternäpfe waren verstreut im Raum angebracht. Den Kühlraum hatten wir ebenfalls mit Torf als Einstreu versehen; auch hier gab es kleine Trinkgefäße für Buttermilch und Wasser sowie Futternäpfe. Endlich kam der große Moment, und Bob fuhr nach Docktown, um die Pensionäre abzuholen. Er kehrte mit zehn Pappschachteln heim, aus deren seitlich angebrachten Luftlöchern das Piepsen der Küken drang. Wir stellten die Schachteln sorgfältig in den Kühlraum, trugen dann Stück für Stück in den Brutraum, hoben den Deckel ab, nahmen behutsam die Küken und setzten sie in den Brutkasten, wo sie sich sogleich emsig bemühten, einander zu ersticken.
Von diesem Tag an wurde mein Leben eine wahre Hölle. Vier Uhr morgens aufstehen – Herd das Maul stopfen und Feuer machen – Kaffee aufbrühen – nach den Küken sehen – zurück in die Küche und Schinken in die Pfanne tun – den Küken warmes Wasser bringen – Toast in die Backröhre schieben – hinaus zu den Küken mit Weichfutter – zurück in die Küche und den Tisch decken – hinaus zu den Küken mit Körnerfutter – zurück in die Küche – hinaus zu den Küken – zurück in die Küche, so ging das den ganzen Tag. Ich lebte wie im Traum und kam mir vor, als sei ich vor einer heranbrausenden Lokomotive auf der Flucht. Ich hetzte mich durch mein Tagewerk, und jeden Abend war der Berg der unerledigten Arbeiten größer. Natürlich wählte ich mir den ungeeignetsten Zeitpunkt, um mein Kind in die Welt zu setzen, und das Erscheinen meiner Tochter war typisch für unser Tempo. Die fünfzig Meilen in die Stadt legte ich auf ihrem Köpfchen sitzend zurück, denn kaum kamen wir im Spital an, weigerte sie sich, länger zu warten, und meldete sich rothaarig und siebeneinhalb Pfund schwer zu Wort. Als ich nach vierzehn Tagen erholsamer Ruhe heimkehrte, fand ich alles wohlgemut und auf Vermehrung bedacht vor. Zwei Ferkel grunzten mich vergnügt an, Gänschen watschelten herum, ein Kälbchen muhte, zwei Kätzchen miauten, ein junger Hund jaulte, und die Küken begrüßten mich mit kräftigeren Piepsern, als sie mich verabschiedet hatten. Der gesamte Nachwuchs auf der Farm wurde meiner Sorge anvertraut, und die Abfütterung der ewig hungrigen jungen Schreihälse sowie die Zubereitung der Mahlzeiten für Bob und mich nahm den ganzen Tag in Anspruch. Es war eine Arbeit, die nie endete. Ich nahm mir ernsthaft vor, das Bügeln irgendwann einmal zu erledigen, bevor meine kleine Anne ihren ersten Schulbesuch machen mußte, den Gedanken an die längst fällige Wäsche schob ich ängstlich von mir, obwohl der Haufen Schmutzwäsche einen Umfang erreichte wie ein vom Gipfel des Olympos herabgerollter Schneeball, und vor dem Frühling, der mich von allen Seiten bedrängte, endlich etwas für meinen Garten zu tun, verschloß ich einfach die Augen.
Bob hetzte sich genauso ab; unser Eheleben erschöpfte sich im »Hallo«-Rufen, wenn wir uns auf dem Weg vom Bruthaus zum Abfallhaufen einmal begegneten, in knappen Aufforderungen, beim Abschleppen eines Baumstumpfes oder beim Aufwickeln von Draht Hand anzulegen, in ein paar Brummlauten bei Tisch, wo wir hastig die Speisen hinunterschlangen und den Samenkatalog und die Regierungsbulletins durchblätterten. Eines Abends saß ich nach dem Essen in der Küche am Tisch und führte über »Fütterung und Sterbefälle« im Kükenheim Buch, da küßte Bob mich aus heiterem Himmel auf den Nacken. Ich war verwirrt, als sei ich eine kleine Stenotypistin, die der Chef auf diese Art für besonders gute Arbeit belohnen will. »In ein bis zwei Jahren nennen wir uns vermutlich nicht einmal mehr bei den Vornamen«, prophezeite ich Bob.
Die Nachbarn
In anderen Gemeinden sind die wichtigsten Leute stets die Reichsten, die Einflußreichsten oder die Tüchtigsten, doch besteht eine Gemeinde aus weit auseinanderliegenden, über das zerklüftete Bergland Nordamerikas verstreuten Farmen, so ändert sich das Bild, und die wichtigsten Leute sind die, die am nächsten wohnen. Die Nachbarn! Unsere Nachbarn waren die Hicks und die Kettles.
Meine erste Begegnung mit den Kettles erfolgte ungefähr vierzehn Tage nach unserer Übersiedlung auf die Farm, als ich in kindlicher Unschuld wähnte, ich könnte einfach zur Farm eines Nachbarn spazieren und dort Milch und Eier nach Belieben einkaufen. Bob war nach Docktown gefahren, um Bauholz zu kaufen, sonst wäre es nie zu meinem sinnlosen
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