Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Ei und ich

Das Ei und ich

Titel: Das Ei und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
Vom Netzwerk:
durchs Wasser zogen, dann wahllos ein paar Farben darauf klecksten und uns freuten, daß sie ineinanderliefen, bis man nicht mehr sagen konnte, wo die eine anfing und die andere aufhörte. Frühling in Seattle war gleich einem zarten Erblühen des blaßgrauen Winters, einem in Pastelltönen gehaltenen Vorspiel zum hellgelben Sommer, der sanft in den lavendelfarbenen Herbst hinüberglitt, auf den wieder ein blaßgrauer Winter folgte. Grelle Farbkontraste gab es nicht, und da wir Sommer und Winter die gleichen Kleider trugen und manchmal im Januar um ein Lagerfeuer am Strand hockten, wozu es uns im Juni zu kalt dünkte, achteten wir nie auf den Wandel der Jahreszeiten.
    Grundverschieden davon gestalteten sich die Übergänge in unserer Bergeinsamkeit. Der Frühling kam im Galopp um die Ecke, hielt mit infernalischem Quietschen der Bremsen, stieg aus und war da. Irgendwo pfiff irgend jemand ein Signal, und das Toben brach an. Eines Morgens erwachten wir und sahen uns mit einem neuen Katalog von Sears-Roebuck, Tausenden von Küken, einem kleinen rothaarigen Mädelchen, gelbflaumigen Gänschen, zwei rosigen Ferkelchen, einem Welpen, zwei Kätzchen und einem Kälbchen beglückt; die Obstbäume ringsum blühten, das frisch gepflügte Feld lechzte danach, in den größten Garten der Welt verwandelt zu werden, Ströme und Flüsse quollen schier über, und Tausendschönchen, wilde Veilchen und Sternblumen breiteten einen bunten Teppich über den Waldboden; Zäune mußten ausgebessert, Samen gesät, Kataloge sorgfältig durchgeblättert, Bulletins, von der Regierung für die Farmer herausgegeben, studiert und – wenn irgend möglich – auch verstanden werden, kurz, von einem Tag zum andern gab es keine ruhige Minute mehr.
    Die Frühlingssonne, ein keckes, vollblütiges Wesen, nicht zu vergleichen mit der zimperlichen alten Jungfer aus Wintertagen, strahlte golden und warm und streichelte mit ihrer Glut, ohne Unterschiede zu machen, das Jungholz, die frisch gepflügte lockere Erde und die häßliche, brachliegende »Schlucht«. Jedes Fleckchen, das sie berührte, regte sich in neuem Leben, und ungestüm sprossten allerorten hellgrüne Schnäuzchen und üppige Bärte hervor. Die Nasen der Berge begannen zu rinnen, und obwohl sie ihre erhabenen Häupter mit schützenden Schleiern verhüllten, machten sie einen weniger drohenden Eindruck.
    Sonne und Wärme erfüllten mich mit solch übersprudelnder Freude, daß selbst das Bewußtsein, in eine Tretmühle tausend neuer Pflichten eingespannt zu sein, meine Lebensgeister nicht dämpfen konnte.
    Bob hatte sich auch vorher nicht durch das regnerische Wetter verdrießen lassen, doch jetzt steigerte sich seine gute Laune noch, trotz der Enttäuschung, die ich ihm bereiten mußte. Seit Monaten hatte ich ihn der Verzweiflung ob meiner wirklich erschreckenden Trägheit mit der Versicherung entrissen, ich würde mich zu überragender Tüchtigkeit aufschwingen, sobald die Arbeit mich unter Druck setzte, und nun mußten wir betrüblicherweise feststellen, daß es mir nicht anders erging als einem Ministerium, dem neue Büros angeschlossen werden: Ich wurde untüchtiger in noch größerem Umfang.
    Ich hatte von schönheitsdürstenden Farmersfrauen gelesen, die Stunden damit zubrachten, eine sonnengetränkte Forsythie zu bewundern oder durch den Garten zu schlendern und ihre Riechorgane entzückt einem blühenden Zweig zuzuwenden oder regungslos und sonnenumflutet in weltentrückter Pose zu verharren und dem Schöpfer für das Wunder der Fruchtbarkeit zu danken. Zu gern hätte ich gewußt, woher die Damen die Zeit zu so ätherischem Tun nahmen. Ich sah die Forsythien, ich sah die Blütenzweige, ich sah die Sonne durch die smaragdgrünen Wipfel der Tannen und Erlen flirren, aber zum Verweilen und Genießen blieb mir nicht mehr Zeit, als ich beim Durchflitzen einer Kunstausstellung auf dem Motorrad gehabt hätte.
    Es begann mit den Küken. Die Küken kamen an erster Stelle, und als ich hochschwanger war, mußte ich mich auf Hände und Knie niederlassen und an dem Thermometer unterm Brutkasten die Temperatur ablesen. Das war außerordentlich wichtig. Wir schrubbten das Bruthaus von unten bis oben und von oben bis unten mit Lysol und kochendem Wasser. Das Bruthaus hatte zwei Abteilungen: den eigentlichen Brutraum und den Kühlraum. Im Brutraum waren zwei Brutapparate, die wir mit Petroleum heizten und acht Tage, bevor die ersten Küken eintrafen, auf ihre Temperaturen kontrollierten. Der Boden des

Weitere Kostenlose Bücher