Das Ei und ich
der Ofensetzer ihre pessimistische Runde durch unseren Besitz machten. Als die Essenszeit nahte und Herd noch immer in Einzelteile aufgelöst herumlag, machte ich ein paar belegte Brote und braute auf einem Spirituskocher Tee, während mir Myrtle mit hingebungsvoller Genauigkeit die Leiden ihres schwachen Herzens schilderte. Ich machte den Vorschlag, für Darleen Suppe oder Gemüse zu wärmen, aber Myrtle wollte davon nichts wissen. »Nicht nötig. Die Kleine ißt alles – ist stark wie ein Pferd.«
Das Pferd nahm den Bruchteil eines belegten Brotes und eine eingemachte Frucht zu sich, dann lehnte es sich an der Mutter Stuhl und quengelte. Ohne sich umzudrehen und ohne ihre Mahlzeit einen Moment zu unterbrechen, versuchte Myrtle es mit tröstlichen Hinweisen wie »Ich werd dir gleich hinten drauf geben« und »Ich sperr dich in den Wagen«; »Wart nur, ich sag’s Vater«; »Ich hol den Schwarzen Mann« aufzurichten. Durch das weinerliche Gezeter einerseits und die hinterhältigen Drohungen andererseits entnervt, schlug ich vor, die Kleine solle ein bißchen schlafen, und meinte, sie sei sicher müde. Wieder wehrte die Mama energisch ab. »Seit sie aus der Wiege ist, hat sie tagsüber nicht mehr geschlafen. Braucht sie nicht – ist stark wie ein Pferd.« Ob Darleen stark war, will ich dahingestellt sein lassen, aber Ausdauer hatte sie, so blaß und mager wie sie war; sie plärrte und drückte sich an Myrtles Stuhl herum, bis Familie Ofensetzer wegfuhr. Und das war gegen fünf Uhr.
Gleich nach dem Essen wurde Mr. Myrtle sehr geschäftig und setzte Herd unter Einfügung eines neuen Rostes und eines neuen Aschekastens wieder zusammen. Leider ließ sich Myrtle von der Arbeitswut ihres Mannes anstecken und bestand darauf, aus den acht Längen Barchent und Nesseltuch, die ich gestern aus der Stadt gebracht hatte, Hängerchen für Klein-Anne zuzuschneiden. Ich hatte mir hübsche Schnittmuster gekauft, doch Myrtle erklärte spöttisch, für Kinderkleider brauche man so etwas nicht.
Als ich von einem meiner zahlreichen Gänge zu den Küken wieder ins Zimmer trat, war die beherzte Dame gerade dabei, das letzte Kleidchen zuzuschneiden. Sie legte hurtig die ausgeschnittenen Teile aufeinander, nahm Darleen bei der Hand, führte sie noch schnell aufs Klosett, und mit den Worten: »Auf Wiedersehen nächstes Jahr, falls mein schwaches Herz durchhält« – »Laß das los oder du kriegst eine Ohrfeige« – »Hoffentlich taugt der Herd jetzt wieder was« waren sie draußen.
Nach dem Abendbrot nahm ich die von Myrtle aufeinandergelegten Teile der zugeschnittenen Kleider zur Hand, um sie zu nähen. Irgend etwas stimmte nicht. Es waren acht große, runde Stücke vorhanden, von jeder Stofflänge eines, und acht runde Streifen, aus deren Mitte die runden Teile stammten. Ich überlegte lange, fand aber nicht heraus, was die Kleider und was die Abfälle sein sollten. Ich probierte die Stoffteile an meiner kleinen Anne auf alle möglichen Arten aus; ein Kleid ließ sich beim besten Willen nicht daraus zusammensetzen. Entweder war der Schnitt für meinen beschränkten Verstand zu kompliziert, oder Klein-Anne hatte keine normale Figur. »Na schön, dann eben nicht«, sagte ich endlich aufseufzend und verstaute die Stoffteile in der untersten Schublade meiner Kommode, wo sie blieben, solange wir auf der Farm lebten.
Nach dem Besuch des Ofensetzers blieb das Wetter mehrere Wochen lang klar und heiter, und wir schufteten wie die Besessenen, um mit dem Frühling Schritt zu halten, der stets eine Nasenlänge voraus war, uns täglich neue Arbeiten aufhalste und veranlaßte, längst fällige liegenzulassen. Allabendlich machte sich Bob mit dem Wagen und zehn Zehnlitereimern zu einem kleinen Tal gleich unterhalb des Hauses auf und füllte die Eimer mit Wasser. Und allmorgendlich goß ich Herds Wasserbehälter voll, sobald ich angezogen war, und nützte jede freie Minute zwischen meinen sonstigen Pflichten zum Wäschewaschen aus. Auf der Leine flatterten die Sachen und blähten sich dem strahlend blauen Himmel entgegen, und wenn ich das trockene Zeug des Abends abnahm, duftete es nach Wind und Frühling.
Drei Wochen wusch ich jeden Tag und bügelte jede Nacht und kam mir vor wie die Müllerstochter im Rumpelstilzchen, denn am Abend schien meiner stets mehr Arbeit zu harren als am Morgen. Aber ich hatte auch seit September nur das Allernötigste gewaschen und über Herd getrocknet und die übrige Schmutzwäsche ins Gästezimmer geworfen. Doch
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