Das Ei und ich
weiß es nicht, aber wer es auch gewesen sein mag, er hat bestimmt in einem komfortablen Stadthaus gelebt und seine Weisheit aus Bambi bezogen. Je länger ich in den Bergen lebte, desto mehr neigte ich dazu, Gammys früher verlachte Worte »Ein Tier ist ein Biest, und wilde Tiere sind wilde Biester« ernst zu nehmen.
Unsere Unannehmlichkeiten mit wilden Tieren begannen im Sommer. Natürlich hatten wir schon vorher mit Wieseln, Fledermäusen, Eulen, Habichten, Waldratten und Feldmäusen zu tun gehabt, aber ich meine die großen wilden Tiere wie Bären, Pumas, Wildkatzen, Skunks, Hochwild und Kojoten.
Der Sommer setzte sehr früh ein, schon im Mai. Um fünf Uhr kam die Sonne, wenn auch zögernd, über den Bergrücken gekrochen, dehnte sich noch ein bißchen und war gegen sechs Uhr fertig angezogen im Strahlenkleid, bereit, ihr Tagewerk zu beginnen. Die Tage waren hell und warm, und das Haus glich einem in buntes Papier eingewickelten Weihnachtspaket inmitten der Rosen- und Geißblattranken, deren süßer Duft alle Zimmer erfüllte, wenn der Wind in der rechten Richtung wehte; wehte er in der falschen, dann tröstete ich mich mit der Überlegung, daß ja der Mist es war, der die Rosen- und Geißblattranken so kräftig und schön werden ließ.
Im Sommer fiel einem die Arbeit leichter. Die Wäsche trocknete schnell an der Leine, das Holz war dürr und brannte leicht, der Boden des Hühnerstalls weichte nicht auf, und die Pfade zu den Nebengebäuden blieben fest und gangbar. Es tat gut, am Morgen in die kühle Stille hinauszugehen und die Erde um die zarten Karotten und den hohen, grünen Mais zu lockern, Bohnen und Salat zu versetzen, in meinem Treibhauskasten nach Anzeichen keimenden Lebens zu suchen und zu verweilen, bis vom Haus her der Duft starken Kaffees in die Nase drang und mich ins Haus lockte.
Im Sommer unternahmen wir unsere Ausflüge in die Stadt frühzeitig und waren zurück, bevor die glühende Hitze einsetzte. Eines Morgens fuhren wir nach erfolgter Säuberung der Ställe und Fütterung der Raubtiere im Wagen los, aber schon als wir die Landstraße erreichten, fiel uns auf, daß sich der Wagen über Nacht einen bösen Husten geholt hatte und nun gräßlich prustete und ächzte und nicht recht vorwärtskam. Nicht einmal die erste kleine Anhöhe schaffte er, wieviel weniger erst die großen Steigungen, die bis zur Stadt zu überwinden waren. Über eine Stunde plagte sich Bob damit ab, ihm gütlich zuzureden; als alles nichts half, gab er den Kampf auf und versuchte, den Patienten die paar Meter zur Garage oberhalb des Hauses zu dirigieren. Der Wagen ruckte an, tat, als ob er im Sinn hätte, sich vorwärtszubewegen, und rollte dann erschöpft wieder zurück. Es war ein aussichtsloses Unterfangen, und schließlich wurde ich zu den Kettles geschickt mit dem Auftrag, einen der Kettlejungen unter ihren Autowracks hervorzulocken und zu bitten, doch einmal unseren Wagen auf die Ursache seiner Erkrankung zu untersuchen.
Ich setzte Anne in den Kinderwagen, schärfte Bob ein, auf sie aufzupassen, und machte mich zu den Kettles auf den Weg. Es gelang mir, Elwin zum Mitkommen zu überreden, aber als er sich brummend das wackligste aller Kettleschen Vehikel zur Fahrt aussuchte, lehnte ich es ab, ihn zu begleiten, und zog es vor, zu Fuß zu uns zurückzupilgern.
Ich wählte die Abkürzung durch die von Holzfällern gelichtete Waldschneise. Zuerst ging es ganz gut, doch dann wurde die Gegend wilder, und ich mußte über Baumstümpfe und gefällte Stämme klettern, die oft unter meinen Füßen wegrollten, so daß ich mich mit knapper Müh und Not noch an irgendwelchen Zweigen und Ästen festhalten konnte. Da die Holzfäller hier nur in kleiner Mannschaft gearbeitet hatten, standen noch viele der Riesenbäume, und der Wald war dunkel und kühl. Hie und da zwitscherte ein Vogel dicht an meinem Ohr, Eichhörnchen huschten durchs, Gehölz und musterten mich aus überraschten Knopfaugen, doch von dem heimtückischen Krachen von Fallholz, das mich auf der Straße so erschreckt hatte, blieb ich verschont. Nach einer Weile kam der Pfad unvermutet wieder zum Vorschein. Er wand sich steil empor, an einer Schlucht entlang und durch dichten, ungelichteten Waldbestand. Ich kletterte unternehmungslustig weiter, aber plötzlich überkam mich das unangenehme Gefühl, verfolgt zu werden. Ich hörte auch Zweige knacken und sah sogar Äste schwingen am Rand der Schlucht, aber sobald ich stehenblieb, um mich zu vergewissern, herrschte
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