Das Ei und ich
seine an sich rauhe Stimme nicht um ein Jota und fluchte lästerlich, wenn sie ihn nicht verstand. Mit einem Bruchteil ihres sonstigen Augenwischens und Rockzupfens brachte sie nach einiger Zeit zwei Kriminalromane zum Vorschein, von denen ich nur einen schon gelesen hatte.
Miss Wetter erzählte Bob – mich übersah sie –, daß sie kürzlich eine sehr gut assortierte Leihbücherei erworben habe und die Bücher jeden Tag erwarte. Bob war überströmend nett und scharwenzelte um die gute Miss herum, daß bald nur noch ein verführerischer Handkuß in der Skala seiner Höflichkeitsbeweise fehlte, und ich war so froh über die in Aussicht gestellte Erweiterung des Buchbestandes, daß ich großzügig übersah, wie Miss Wetter mich übersah. Ihre Wangen waren rosig überhaucht, und sie glühte wie ein Pfingströschen.
Von diesem Tage an waren Miss Wetter und Bob die besten Freunde. Nach jedem Besuch der »Bücherquelle« kam er mit vielen Büchern und Broschüren heim, doch leider handelten sie alle von Hühnerkrankheiten und wie man sie bekämpft, der Rentabilität im Eierhandel und dem besten Dünger für Obstbäume. Die sagenhafte Leihbücherei, deren reiche Bestände Miss Wetters schwindsüchtige Regale aufzufüllen bestimmt waren, traf nie ein, solange unsere geschäftlichen Beziehungen dauerten.
Gegen Ende des Sommers schickte mir Miss Wetter einmal einen Roman in Fortsetzungen mit, den sie aus einer Zeitschrift ausgeschnitten hatte. Der Roman handelte von einer jungen Frau mit ihrem sehr waschlappigen Ehegatten, die sich irgendwo in selbst gewählter Einsamkeit an den Küsten des Stillen Ozeans vergraben hatten. Die junge Frau war das Muster einer Kameradin und ein Wunder der Enthaltsamkeit. Sie nährte sich von Seetang, wenn’s sein mußte, und tat alles, um ihrem Herrn und Meister die Arbeit abzunehmen. Sie besaß weder Radio und elektrisches Licht noch Klosett, Badewanne, Nachbarn oder Geld, und sie fand es einfach wundervoll. Diesen Roman sandte mir schnöden Sinns Miss Wetter in der deutlichen Absicht, mir meine schlechten Eigenschaften als praktische Hausfrau und liebende Gattin vor Augen zu führen. Aber ihre Absicht verfehlte den Zweck.
Der Roman an und für sich regte mich nicht auf, ich las ihn, wie ich alles las, und er wäre ganz unterhaltend gewesen, wenn die Autorin es bei ihrem Ach-wie-lobe-ich-mir-das-harte-Leben-Geschrei hätte bewenden lassen. Aber nein, in ihrem Gefühlsüberschwang verlegte sie auch das Leben im Winter ins Freie und phantasierte drauflos, daß man meinen konnte, die Beschreibung einer Ferienreise ins sonnige Tahiti vor sich zu haben. Das junge Paar verzichtete sogar darauf, sich eine Hütte zu bauen; es schlief auf der nackten Erde, um der Natur recht nahe zu sein, und betrachtete die Bäume um sich und den Himmel über sich als Wände und Dach der Behausung. Das war zu dick aufgetragen. Ich warf die Zeitungsausschnitte erbost ins Feuer, denn hierzulande wußte jedes Kind, daß man von September bis Ende Juni ein wetterfestes Dach haben oder mit Entenfedern bekleidet sein mußte, wollte man nicht erfrieren. Hätte es sich jemand einfallen lassen, eine Viertelstunde auf dem nackten Erdboden zu liegen und verzückt in den Himmel zu starren, wäre er unweigerlich ertrunken.
Die verlogene Darstellung regte mich dermaßen auf, daß ich meinem Zorn Luft machen mußte und Mrs. Kettle davon erzählte. »Stellen Sie sich vor, das Weibsstück schildert, wie sie beide das ganze Jahr draußen im Freien schliefen.« Doch Mrs. Kettle verstand mich offenbar falsch, denn sie erwiderte: »Allerhand, daß die Person so was von sich schreibt. Mertie Williams schlief draußen hinterm Haus mit Chet Andrews, und da erwischte der alte Williams die beiden, und dann ging der Teufel los. Im ersten Augenblick wollte der Alte Chet übern Haufen knallen, aber dann fiel ihm rechtzeitig ein, das war doch ’ne gute Gelegenheit, die Kleine an den Mann zu bringen, und da mußte Chet sie heiraten.«
Mrs. Kettle arbeitete an einer aus bunten Flicken zusammengesetzten Decke. In dem Lehnstuhl, den sie mit Zeitungspapier ausgepolstert hatte, saß sie beim Feuer und nähte ein kleines Achteck neben das andere auf einen ausgewaschenen und gebleichten Futtersack. In der Mitte der Decke war ein baumwollenes Achteck aus einer Farbe aufgenäht, und davon strahlten nach allen Ecken andere Achtecke in den verschiedensten Farben aus. Vom breiten Schoß der Mrs. Kettle wallte ein bereits fertiges Stück der
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