Das Ei und ich
daß wir uns die Aussicht von einem der wackligen Balkone aus betrachteten, und herzklopfend trat ich auf die schmale Plattform, klammerte mich an das zerbrechliche Geländer, kämpfte tapfer gegen Spinngewebe und Gänsehaut und erwartete jeden Augenblick, eine Hand auf meiner Schulter zu spüren und mich beim Umwenden Boris Karloffs unheimlichem Antlitz gegenüber zu finden.
Daheim delektierten wir uns an kalten Hühnchen und heißem Kaffee und freuten uns, daß unser Heim solide gebaut war.
Als sich die Tür hinter unseren Gästen schloß, hörten die unterhaltsamen Tischgespräche und die Versuche, Blumen in Vasen zu ordnen und die Fingernägel zu lackieren, wieder auf. Meine Aquarelle versenkte ich nebst meinem guten Kleid zum Dornröschenschlaf in den Tiefen des Schrankes, und mit finsterem Gesicht den neuen Sterilisierapparat schulternd, trabte ich wie ein gehorsamer Esel zurück in die Tretmühle.
Handarbeiten oder Bücher
Unüberlegt, wie ich nun einmal zu handeln pflege, hatte ich bei meinem sieghaften Einzug auf die Farm eine Kiste mit alten Schul- und Kinderbüchern mitgenommen anstatt meiner späteren Lektüre. In meiner Verzweiflung stürzte ich mich nochmals auf die Kinderbücher und las Die fünf kleinen Pfeffermänner , Aldens Encyclopaedia und Den Weg allen Fleisches hintereinander, miteinander und zuletzt kapitelweise durcheinander. Ich verschlang in meinem Lesehunger auch sämtliche Magazine, Zeitungen und Kataloge, die ich erwischen konnte. Bücher zu borgen war ein Ding der Unmöglichkeit, da keiner meiner Nachbarn solche besaß. Lesen galt als ein Zeichen der Faulheit, Wichtigtuerei und Entartung in diesen Breitengraden.
Brave Farmersfrauen hatten Handarbeiten zu machen. Sie stickten ihre Küchentücher und bleichten sie dann so gründlich, daß sie wie gestopft aussahen. Sie bestickten ihre Kopfkissenüberzüge mit harten, kratzenden Blumen und Knötchen; sie bestickten jedes Kleidungsstück, das ihre Kinder trugen, und sie bestickten, umhäkelten und verunzierten auf andere Arten ihre eigene Wäsche, die Taschentücher, sämtliche Deckchen, Decken, Bettüberwürfe und Servietten. Sie huldigten dieser Leidenschaft von der Wiege bis zur Bahre, aber da ich Handarbeiten von Kindheit an haßte, war ich immun gegen Ansteckung und nicht zu bewegen, meine eigene Wäsche und Klein-Annes Kleidchen mit harten, kratzenden Blumen und Knötchen zu verzieren.
Ich schrieb herzerweichende Briefe wegen meiner Bücher nach Hause, aber das Senden von Gegenständen, die den zulässigen Postumfang überschritten, war mit ungeheuren Schwierigkeiten verbunden. Man mußte sich mit Autobusgesellschaften, Fähren, privaten Autobuslinien und Farmern, die an der Landstraße wohnten, in Verbindung setzen, so daß ich lieber auf die Bücherkiste verzichtete. Mutter versprach mir, sie beim ersten Besuch mitzubringen, aber als sie dann kam, war sie so beladen mit Naschzeug, Zigaretten, Illustrierten und Geschenken für den Haushalt, daß ich mich schämte, an die Bücher zu erinnern, die sie offensichtlich vergessen hatte. Bei den späteren Besuchen jedoch wiederholte sich die Geschichte. Zwischendurch führten wir eine rege Korrespondenz über die Bücher, schickten Listen hin und her und debattierten brieflich sehr eifrig, wem welches Buch gehöre. Doch kam die Familie dann das nächste Mal auf Besuch, war die Kiste entweder in der Diele geblieben oder in der Garage vergessen worden, was wortreich und mit vielen Selbstanklagen betont wurde. Ich dachte mir meinen Teil. Erstens einmal waren viele Bücher verliehen worden, und niemand konnte sich mehr erinnern, wer sie ausgeborgt und nicht mehr zurückgebracht hatte. (Die Erstausgabe von Bierce’s Des Teufels Wörterbuch, zum Beispiel, blieb spurlos verschwunden, und nie ließ sich feststellen, wie, wo und wann es den Weg alles Irdischen gegangen war.) Und zweitens ist das Einpacken von Büchern keine Tätigkeit, die man aus bloßer Begeisterung monatelang im voraus besorgt; man schiebt die Arbeit im Gegenteil bis zur letzten Minute auf, die letzte Minute aber reicht dann nicht mehr, um an alles zu denken, und so wurden in der Hitze des Gefechts meine Bücher jedesmal vergessen.
Sooft wir in die Stadt fuhren, nahm ich mir vor, nach einer Leihbibliothek und der Volksbibliothek zu suchen, aber stets kehrten wir beladen mit Hühnerfutter und Lebensmitteln, doch ohne geistige Nahrung heim. Und hätte Bob den Wagen an jenem windigen Samstagabend nicht geparkt, wo er gar
Weitere Kostenlose Bücher