Das Ei und ich
nicht hätte parken dürfen, wären wir nie auf Miss Wetter und ihre Schätze gestoßen. Zwischen der Käserei und dem Barbierladen lag eingequetscht und schmalbrüstig die »Bücherquelle«. »Sieh mal dort!« rief ich ekstatisch Bob zu. »Ein neues Geschäft!« und ich deutete auf das kleine Schild mit der dünnen Aufschrift. Nach meinem ersten Besuch in der »Bücherquelle« stellte ich fest, daß es sich wohl um ein neues Unternehmen handelte – ein Wunder in der verschlafenen kleinen Stadt –, aber daß die Eröffnung einem welken Blumenstrauß glich, den man zu anderen welken Sträußen auf ein Grab legt.
Die Tür der »Bücherquelle« öffnete sich nach der falschen Seite, so daß schon mein Eintritt mit mehr Überraschungen als Annehmlichkeiten verbunden war. Ich stolperte in den Laden, die Tür flog mir aus der Hand und gegen ein Regal, von dem prompt ein paar Bücher zu Boden fielen. Die Inhaberin des segensreichen Instituts hieß Miss Wetter und nannte außer einer dünnen Gestalt, der Erfahrung von mehr als fünfunddreißig Lebensjahren, der Gewohnheit, mit nervösem Zupfen an ihrem Rock und ihrer Bluse zu nesteln, ein ewig tränendes Auge ihr eigen. Im übrigen hatte sie Polypen und war im höchsten Grad schwerhörig. Ihre Auswahl, ihre Preise und leider auch ihr geistiges Niveau waren sehr niedrig.
Ich sah mir die Bücher an, die, nach ihren Titeln zu schließen, die Erbmasse einer verstorbenen Verwandten Miss Wetters hätten darstellen können. Broschüren religiösen Inhalts, Brewster’s Millionen, Die große Straße von Jeffrey Farnol, Zoroaster von Francis Marion Crawford, ein paar Romane von Zane Grey, Kathleen Norris und Elinor Glyn und mehrere Gedichtbände mit kunstvoll verschlungenen Blumeneinbänden sowie Kinderbücher und ein paar mit der Patina des Alters überzogene Geschichtswerke waren vorhanden. Im Vergleich mit Miss Wetters Lesestoff bot das Telefonbuch eine aufregende Lektüre.
Ich erkundigte mich nach Detektivgeschichten. Meine Frage lautete: »Haben Sie Detektivgeschichten?« Worauf ich zur Antwort erhielt: »Ja, ich ’abe viele ’ette ’unden.« Die Anfangsbuchstaben der meisten Wörter verflüchtigten sich bei Miss Wetters durch Polypen bedingter, nasaler Aussprache.
»Kriminalromane, meine ich«, brüllte ich ihr ins Ohr. »Kriminalromane mit Detektiven und Verbrechern darin. Kriminalromane!« Miss Wetter tauchte im obersten Fach ihres Ladentisches unter, kramte darin herum, kam endlich mit einem kleinen Notizbuch in Händen wieder an die Oberfläche, blätterte ein paar Seiten um, nickte mir dann freundlich zu und erklärte: »Ein ’ollar im ’onat bei ’wei Büchern aufs ’al.«
Ich fischte kurzentschlossen einen Zettel aus meiner Tasche und kritzelte Miss Wetter eine Liste der von mir gewünschten Bücher darauf. Dann zahlte ich den Dollar Monatsbeitrag und kaufte noch ein paar Magazine. Als ich den Laden verließ, nahm Miss Wetter ihre Brille ab, wischte sich mit dem Taschentuch ihr tränendes Auge – vielleicht das achte Mal während meines Aufenthaltes in der »Bücherquelle« – und meinte guten Mutes: »Ich ’in erst auf ’eite ’weiundsiebzig.«
Es lag mir auf der Zunge, ihr zu sagen: »Beeilen Sie sich nicht so, Sie kommen doch nicht nach«, aber dann unterließ ich es lieber.
Zwei Wochen später suchte ich Miss Wetter wieder auf. Sie hatte einen Petroleumofen installiert, doch das war die einzige Änderung, die mit der Bücherquelle vorgenommen worden war. Im übrigen glich dieser zweite Akt der Komödie, was Kostüm, Kulissen und Dialog betraf, dem ersten aufs Haar. Miss Wetter verstand kein Wort von allem, was ich ihr in die Ohren brüllte; sie hielt sich meine Wunschliste vor die Augen, als hätte sie sie soeben zum erstenmal zu Gesicht bekommen, und ich wiederholte das neckische Spiel und schrieb abermals genau auf, welche Bücher ich gern hätte. Insgeheim fragte ich mich, ob Miss Wetter auch blind sei.
So ging es weiter bis zum Februar. Dann bat ich Bob, mit mir in die Bücherquelle zu kommen. Vielleicht wurde er besser mit Miss Wetter fertig als ich. Er sträubte sich zuerst und meinte, er wisse nicht recht, was er bei der alten Jungfer solle, falls ich nicht erwarte, daß er Miss Wetter auf den Kopf stelle und die Bücher aus ihr herausschüttle. Ich sah ihn mit meinem oft erprobten Treuer-Hund-Blick an, und siehe da, es wirkte! Bob trabte brav mit mir in den Laden und glänzte vor Miss Wetter mit hundertfünfzig Watt Charme, hob jedoch
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