Das Ei und ich
sie Platten mit Brathühnchen, Schüsseln mit Kartoffelsalat und Unmengen Brot herbei.
Kleine Mädchen von zehn Jahren und noch darunter spielten am Strand und bewachten die Babys, während die kleinen Jungen sich in Booten auf dem Wasser herumtrieben und fischten; der Rest der Gesellschaft vergnügte sich mit Trinken von Whisky oder selbstgebrautem Schnaps, wobei die Mädchen über zehn Jahre den Älteren nicht nachstanden.
Das Meer plätscherte friedlich unter einem leichten Dunstschleier; die kleine Insel war teilweise vom Nebel verhangen, aber von ihren steilen Böschungen tönten frohe Rufe herüber, und über allem schwebte der köstliche Duft von Seetang, Muscheln und dem eigentümlichen Geruch brennenden Treibholzes. Von buntem Federschmuck und romantischen Lederhosen war nichts zu sehen; von weitem hätte man meinen können, eine beliebige Gesellschaft halte da ein Picknick ab. Die Frauen trugen bunte Kleider und Wolljacken, Baumwollstrümpfe, derbe Schuhe und Sonnenbrillen. Wieso sie alle Sonnenbrillen hatten, ist mir nicht klar; entweder litten sie an empfindlichen Augen, oder die Sonnenbrillen waren der Wochenendschlager des Kramladens an der Wegkreuzung. Die Indianersprößlinge tummelten sich in Badeanzügen und sahen genauso aus wie von Natur weiße, nun aber braungebrannte Kinder. Nur in der Umgebung des Wagenparks zeigte der Schauplatz unverfälschte indianische Eigenart. Ich packte Anne und meine Tasche und wollte zum Strand, da hielt mich Geoduck zurück, um mich mit seinen Freunden bekannt zu machen. Er präsentierte uns ein junges Paar, das Mädchen war klein und zierlich und sicher nicht älter als neunzehn Jahre, der Bursche tolpatschig und nichtssagend. Als wir uns die Hand gaben, sagte das Mädchen: »Ich-hatte-siamesische-Zwillinge-die-waren-am-Brustbein-zusammengewachsen-und-jetzt-liegen-sie-in-Spiritus-und-werden-in-New-York-ausgestellt.« »Wie nett«, entgegnete ich hilflos, da schnatterte sie schon weiter. »Und der da, sehen Sie mal …« Sie packte ihren Mann unsanft am Kopf, riß ihm den Mund auf und zeigte auf seinen zahnlosen Kiefer. »Wollen Sie sehen, wo seine Zähne geblieben sind?« Höflicherweise wollte ich das sehen. Die junge Frau machte die Wagentür auf und zeigte stolz auf das Schaltbrett, wo tatsächlich die Spuren eines Gebisses zu erkennen waren. »Eugene hat nich aufgepaßt und fuhr in einen Baum«, verkündete sie der staunenden Zuhörerschaft und schien stolz auf diese besondere Heldentat ihres Mannes. Als die Sensation der Zahnspuren verblaßte, nahm Eugenes Gattin Klein-Anne und mich ins Schlepptau und stellte mich sämtlichen anwesenden Indianerfrauen vor. Sie erledigte das sehr summarisch, indem sie mich als »Betty, die Freundin von Geoduck, Clamface und Crowbar« präsentierte. »Jesses, legen Sie doch das Kind dorthin zu den anderen Würmern«, riet sie mir, »die sind dort unten am Strand herrlich aufgehoben.« Ich schaute hin und sah, daß mehrere kleine Kinder zwischen den Binsen herumkrochen; größere sprangen über sie hinweg und um sie herum, stießen sie, stolperten über sie und schmissen ihnen Sand ins Gesicht. Eines der Kinder lutschte hingebungsvoll an einem toten Seestern. Ich machte Eugenes Frau darauf aufmerksam, aber sie lachte nur und rief: »Jesses, der Wurm ist heute abend bestimmt krank.« Kurz entschlossen trabte ich auf das Baby zu, nahm ihm den toten Seestern weg und warf ihn ins Wasser, woraufhin das Kleine brüllte wie am Spieß und mich in die Wade biß. Ein Mädchen von vielleicht sieben Jahren bemerkte den Zwischenfall, kam wutentbrannt angerannt und schrie: »So eine Gemeinheit, suchen Sie sich doch selbst Ihre Seesterne!«
Ich rettete mich mit Anne zu einem silbrig glänzenden gefällten Baumstamm. Der Sand ringsum war fein und von der Sonne erwärmt. Anne packte mit ihren kleinen Händchen rosa Muscheln, die im Winter von der Flut an den Strand getragen und dann durch den Baumstamm festgehalten worden waren, und warf sie ins Meer. Wir vergnügten uns beide und genossen Licht, Luft und Ruhe, bis ein verhutzeltes, altes Indianerweibchen herangetrippelt kam und sich neben uns setzte. Staunend strich sie immer wieder über Annes rote Löckchen und murmelte dazu etwas, das wie »Yawk, yawk, guh« klang, aber ebensogut auch »Guh, yawk, yawk« heißen konnte. Ich verstand nicht, was sie damit sagen wollte, aber da ich sehr stolz auf das schöne Haar meiner Kleinen war, antwortete ich freundlich: »Ja, nicht wahr?« und fühlte
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