Das Ei und ich
einen flehenden Blick zu, aber der war nicht mehr aufnahmefähig für eine Verständigung dieser Art. Er grinste nur noch blöde vor sich hin und bekam immer glasigere Augen.
»Wie wär’s, wenn Sie uns ’n bißchen was Gutes zu essen machten?« schlug der Freund vor, taumelte auf mich zu und stieß dabei gegen den Tisch, daß die empfindliche Eierwaage zu Boden fiel. Mit zitternden Händen hob ich sie auf. Schreiende Zeitungsüberschriften flammten in feurigen Lettern vor meinen Augen auf. »Grauenhaftes Verbrechen auf abseits liegender Farm« – »Junge Farmersfrau vergewaltigt und mißhandelt.«
»Geoduck«, sagte ich mit bebender Stimme, »nehmen Sie Ihren Freund und scheren Sie sich zum Teufel.« Geoduck kicherte idiotisch, blieb aber hocken.
Der betrunkene Freund schwankte auf die Tür zum Schlafzimmer zu, wo das Kind schlief. Das genügte, um mich aus meiner Erstarrung zu lösen. Ich sprang über die Eierkisten und Eierkörbe zum Schrank, riß die Tür auf und packte eines von Bobs Gewehren. Die Waffe hochgerissen, schrie ich die beiden Kerle an: »Hinaus oder ich kn-schie!« Zuerst wollte ich sagen »ich knall euch nieder«, dann kam mir aber das Wort schießen auf die Zunge, und in meiner Aufregung sprach ich keines von beiden richtig aus. Ob das Gewehr Geoduck einen solchen Schrecken einjagte oder ob »kn-schie« im Indianischen eine besonders gefährliche Bedeutung hat, weiß ich nicht. Jedenfalls wirkte es, und Geoduck sagte zu seinem Freund: »Komm, Pearl, wir gehen weg.« Und sie verließen wortlos mein ungastliches Haus, kletterten auf ihren Wagen und fuhren quer über ein schönes Beet und durch das geschlossene Holztor davon. Ich machte mich wieder ans Eiereinpacken, und es beruhigte meine Nerven, obwohl unverhältnismäßig viele Eier zerbrachen. Als Bob kurz nach zehn Uhr heimkam, berichtete ich ihm empört den Zwischenfall, aber anstatt sich aufzuregen, lachte er schallend und amüsierte sich köstlich über meine dramatische Schilderung von Geoducks unverschämtem Freund Pearl.
»Pearl heißt er?« stieß Bob, sich die Lachtränen aus den Augen wischend, hervor. »Ein herrlicher Name für einen Schurken.«
»Mach Geoduck gefälligst klar«, sagte ich, wütend über Bob, weil er die ganze Angelegenheit auf die leichte Achsel nahm, »daß er sich bei mir zu entschuldigen hat oder dieses Haus nicht mehr betreten darf.«
»Ach, Betty, nimm’s doch nicht so tragisch. Was hat der arme Kerl denn verbrochen? Er war halt betrunken, hat vergessen, daß du eine Frau bist, und wollte freundlich sein.« Das war typisch. Geoduck war Bobs Freund und deshalb tabu.
Ungefähr eine Woche später kamen Geoduck, Clamface und Crowbar in den Hof gefahren, um Bob und mich zu einem indianischen Picknick einzuladen. Wahrscheinlich sollte das ein Friedensangebot sein. Jedenfalls war es für einen Indianer eine unglaubliche Geste, einer Frau die Ehrung einer Einladung anzutun, und ich nahm an. Nachdem die drei sich getrollt hatten, sagte Bob stoisch: »Sie denken vermutlich, wenn du erst mal bei einem Indianertreffen gewesen bist und sie dich alle kennengelernt haben, wird dich niemand mehr belästigen.«
»Was du nicht sagst!« fuhr ich ihn erbost an. »Du bildest dir wohl ein, kennen und lieben ist eins? Wenn sie sich mit mir unterhalten haben und merken, was für eine gebildete Frau ich bin, kommen sie vermutlich zur Teevisite her, um über Fragen der Kunst und Literatur mit mir zu plaudern, anstatt mich mit lüsternen Blicken anzustarren?«
»Unsinn, Indianer starren nicht lüstern«, entgegnete Bob abweisend.
»Wenn ich mit gezücktem Gewehr vor ihnen stehe, nicht, das stimmt«, gab ich bissig zurück.
Der nächste Sonntag war der letzte Augusttag. Es war wundervolles Wetter, wie geschaffen für ein Picknick am Meeresstrand. Gegen elf Uhr kamen Geoduck und Clamface uns holen. Sie waren bereits sternhagelvoll und erlaubten mir nicht, irgendwelchen Proviant einzustecken. Nur Milch und etwas Brei für das Baby durfte ich mitnehmen. Mir schwante nichts Gutes, als sie uns im Rücksitz ihres Wagens verstauten und dann den Berg hinunter zur Docktown-Bay sausten. In der Bucht waren ungefähr zwanzig Indianer- und Mischlingsfamilien versammelt. Die Frauen waren emsig damit beschäftigt, aus Treibholz provisorische Tische aufzubauen, indem sie immer eine Planke über vier Klötze legten. In Waschzubern kochten sie Krebse und Muscheln, von denen ganze Säcke als Vorrat bereitstanden, und aus ihren Wagen schleppten
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