Das Einhornmädchen Vom Anderen Stern
ich hoffen, daß Sie sie geknebelt haben?«
»Keine Zeit«, keuchte Calum, der sie gerade eingeholt hatte.
»Hab sie bewußtlos geschlagen.«
»Gut.«
»Wenn Sie gelauscht haben, dann wissen Sie einiges über uns. Aber was wissen wir über Sie? Warum sollten Sie dieses Risiko für uns eingehen?« wollte Gill wissen.
Judit warf ihm einen abfälligen Blick zu. »Haben Sie jemals von Kezdet gehört?«
Gill schüttelte den Kopf.
»Mein Onkel Hafiz«, meldete sich Rafik zu Wort, »gab mir mal den Rat, diesen Ort besser zu meiden.«
»Ihr Onkel hatte recht. Ich habe mich und meine Schwester aus der Hölle von Kezdet herausgeholt«, fuhr Judit fort, »und sehr bald werde ich auch meinen kleinen Bruder befreien.
Außerdem… aber das betrifft Sie nicht. Sagen wir einfach, daß ich genug Kinder leiden gesehen habe. Wenn ich dieses hier retten kann, vielleicht… vielleicht macht das wieder gut, über was ich hinweggesehen habe, um mich freizukaufen.«
Ein paar Minuten später schritt Judit Kendoro durch die Schwingtüren der Chirurgie und präsentierte der Schwester am Empfang ihr Amalgamated-Ausweisschild. »Bin hier, um das namenlose Kind abzuholen, den Neuankömmling von der Khedive«, leierte sie mit gelangweilt monotoner Stimme herunter. »Dr. Forelle wird die entsprechenden Befehle bereits übermittelt haben.«
Die Empfangsschwester nickte und drückte einen Knopf. Die Türen hinter ihr glitten auf, und eine hochgewachsene Frau in steriler Operationskleidung trat heraus.
»Ich wünschte wirklich, ihr Leute würdet euch mal entschließen können«, beschwerte sie sich. »Wir mußten ihr eine Vollnarkose verabreichen, die lokale wirkte nicht. Ich könnte also weitermachen und gleich jetzt sämtliche chirurgischen Korrekturen auf einmal erledigen, wenn Forelle nur einen Tag warten würde.«
Judit zuckte mit den Achseln. »Mir ist das egal, ich bin nur der Bote. Sie wollen sie zurück, wenn wir fertig sind?«
»Sofern die Operation dann nicht wieder von irgendeiner anderen Abteilung abgesagt wird«, gab die Frau gereizt zurück. »Einstweilen können Sie sie mit meinem Segen mitnehmen. Ich habe wahrhaftig genug echte Patienten, ohne mich in irgendwelche Machtkämpfe zwischen den Psychoabteilungen verwickeln zu lassen.«
Sie nickte in Richtung des Raumes, aus dem sie gekommen war, und eine grüngekleidete Operationshelferin karrte eine Krankenliege heraus, auf der schlaff und besinnungslos Acorna lag. Das Gewirr silberfarbener Locken war bereits in einem weiten, nackten Halbkreis um ihr Horn herum freirasiert worden.
»Ich nehme sie gleich auf der Liege mit«, verkündete Judit in einem gelangweilten Tonfall, »nicht nötig, daß Ihre Leute mit der Überstellung selbst Zeit vergeuden.«
Kaum daß Judit die Kontrolle der Krankenliege übernommen hatte, sprang Rafik vor und packte sie von hinten. Ein Plastmesser glitt aus seinem Ärmel und blitzte quer über Judits Kehle auf.
»Danke, daß du uns den Weg gezeigt hast, Dummchen«, knurrte er in seinem besten drohenden Tonfall. »Jetzt werden wir uns das Kind zurückholen.«
»Das können Sie nicht machen! Sie haben mich reingelegt!«
Judit war eine erbärmliche Schauspielerin; die Worte kamen so hölzern heraus wie bei jemandem, der einen Grundschul-Lesebuchtext vortrug.
»Wenn Sie Alarm geben«, drohte Rafik der Empfangsschwester und Chirurgin, »ist es aus mit dem Mädchen. Wenn Sie still bleiben, werden wir Sie laufen lassen, sobald wir in Sicherheit sind. Verstanden?«
Gill griff zur Krankenliege hinab und hob Acorna mit einem Arm auf, und Calum hielt die Türen auf, während er, Rafik und Judit ihren Abgang machten.
»Ist sie in Ordnung?« Sobald die Türen hinter ihnen zugeschwungen waren, hörte Rafik auf vorzutäuschen, daß er Judit mit dem Messer bedrohe. Statt dessen eilte er an Gills Seite und fühlte an Acornas Handgelenk nach einem Puls.
»Sie atmet«, antwortete Gill. »Wie es mit dem Rest steht, werden wir sehen, sobald die Wirkung des Narkosemittels abklingt. Judit, gibt es irgend etwas, das wir darüber wissen sollten?«
Sie schüttelte den Kopf. »Standardnarkose. Sie wird eine Stunde außer Gefecht sein, vielleicht zwei, das hängt davon ab, wie lange es her ist, daß man es ihr verabreicht hat. Eigentlich ist das sogar ganz gut. Gibt euch Zeit, sie ohne Aufsehen an Bord eures Schiffs zurückzuschaffen… Ich sollte euch aber besser trotzdem begleiten. Halte das Messer gezückt, Rafik, und pack mich am Arm. Möglicherweise werdet
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