Das Einhornmädchen Vom Anderen Stern
war, seinen Brotfladen und Bohnenbrei so schnell hinunterzuschlingen, daß er kaum kaute.
Am ersten Tag hatte Chiura das Gesicht verzogen und den sandigen, mit Bohnenbrei gefüllten Brotfladen ausgespuckt, den Jana ihr gerollt hatte. Jetzt war sie hungriger; sie wäre geradewegs unter die trampelnden Füße der älteren Kinder getaucht, wenn Jana sie nicht zurückgehalten hätte.
»Es ist in Ordnung«, beruhigte sie Chiura. »Kheti kümmert sich darum, es gibt gleiche Anteile für jeden.«
»Mehr«, wehklagte Chiura, als der Ansturm sich verlangsamt und sie ihre Fladen mit Bohnenbrei bekommen hatten, jeder einen.
»Gleiche Anteile«, sagte Jana bestimmt, aber sie riß ihren aufgerollten Brotfladen entzwei und steckte eine Hälfte Chiura zu, als niemand hinschaute. Und während der Rest der Kolonne zum Schacht davonschlurfte, blieb sie noch, um Laxmi zu fragen, wie das Baby sich anstellte.
»Spielt zuviel, wenn ich ‘se nich haue«, erklärte Laxmi.
»Kann guten Stein nich von schlechtem unterscheiden. Sie drückt unsere Ausbeute runter.«
»Schlag sie nicht«, entgegnete Jana. »Sie wird nichts lernen, wenn sie Angst hat. Laß sie zuschauen, was du tust. Sie wird lernen.« Sie kniete sich neben Chiura und umarmte sie. »Du schaust Laxmi genau zu, tust du das, Schätzchen? Schau zu und lerne, gutes Erz von taubem Gestein zu unterscheiden.
Warte auf Mama Jana.«
»Schätzchen?« wiederholte Chiura. »Mama?«
»Achwas, sie ist zu dumm, um zu verstehen, was du sagst«, nörgelte Laxmi. »Der einzige Weg, ihr was beizubringen…«
Sie krümmte sich in einem stillen Hustenanfall zusammen. Ihr dünnes Gesicht wurde dunkel vor Anstrengung, als sie versuchte, die Krämpfe zu unterdrücken, die ihren Leib erbeben ließen.
»Du wirst sie nicht schlagen«, drohte Jana, »dann verrate ich Siri Teku auch nicht, daß du Najeems Husten hast.
Abgemacht?«
Laxmi nickte zwischen zwei Krämpfen, und Siri Tekus Rohrstock sauste quer auf die Hinterseiten von Janas Beinen nieder. Dieses Mal schrie Jana kräftig und laut auf, um Laxmi eine Gelegenheit zu verschaffen, etwas von ihrem Husten rauszulassen. Und Siri Teku war so sehr damit beschäftigt, ihr eine Standpauke dafür zu halten, daß sie hinter dem Rest der Kolonne hertrödelte, daß er nicht einmal die Art und Weise bemerkte, wie Laxmi keuchend nach Atem rang. Hoffte sie.
Untertage zu gehen war der Teil, den Jana am meisten haßte, der Übelkeit erregende Sturz in dem Förderkorb voller verängstigter Kinder. Es ging für gewöhnlich gut aus, sofern der Förderkranführer wach war und auf seine Maschine achtete. Wenn er sie aber ein paar Sekunden zu lange laufen ließ, würde der Förderkorb auf dem Schachtboden aufschlagen wie ein fallengelassener Eierkorb. Wieder nach Übertage zu kommen war genauso gefährlich; ein unaufmerksamer Förderkranführer konnte den Förderkorb mitsamt Insassen in die Maschine zerren, wo alles wie ein Erzbrocken in der Gesteinsmühle zermalmt werden würde. Aber man dachte nicht allzuviel hierüber nach – am Ende der Schicht war alles, woran man überhaupt noch denken konnte, wieder Übertage zu kommen. Übertage gehörte dem Licht und Blumen und Sita Ram, die sich Jana wie eine Mutter vorstellte, die lächelte und einen fest umarmte und für immer behalten wollte. Untertage gehörte dem Grubenschrat und dem Rattenfänger, und wenn man dort zu Sita Ram betete oder auch nur an sie dachte, dann würden sie womöglich wütend werden und einen ihrer Boten auf dich hetzen: einen Felsbrocken, der von der Stollendecke stürzte, eine Wasserflut, wenn die Hauer in eine alte Abbaustelle durchbrachen, oder die stinkende Luft, die deine Brust vergessen ließ, wie man atmete.
Der Förderkorb kam ratternd zum Stehen, knallte auf den Schachtboden, stürzte aber nicht, und die Kolonne verteilte sich unter Siri Tekus Anweisungen an ihre Plätze.
»Buddhe, Faiz, ihr Jungs schleppt heute für Streb Drei. Achte darauf, wie Gulab Rao den Kompressor und Preßlufthammer handhabt, Buddhe. Du wirst allmählich zu groß für einen Karrenschlepper, und ich würde dich möglicherweise ziemlich bald zur Arbeit am Streb einteilen, wenn du mir beweist, daß du eine Ladung Erz herausbrechen kannst, ohne die ganze Galerie mit Steinsplittern zu übersäen. Israr, du bewetterst Streb Drei. Ihr Mädchen geht nach Fünf. Khetala und Jana schleppen, Lata bewettert.«
Buddhe und Faiz setzten zu einem Spurt durch die Öffnung an, die schräg in den Stollen nach Drei
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