Das Einhornmädchen Vom Anderen Stern
wäre, ihre Gedanken in Worte zu fassen, hätte sie Laxmi vielleicht erzählt, daß es, wenn man niemanden hatte, den man liebhaben konnte, keinen Grund weiterzuleben gab. Aber sprechen bereitete zuviel Mühe. Sie schleuderte lautlos einen weiteren erzhaltigen Felsbrocken in ihre Sortierkiste, um Laxmi zum Schweigen zu bringen, und wandte sich dann wieder ihrer träumerischen Betrachtung der Wolken zu.
Pal hatte halb gehofft, daß Delszaki Li Acornas Ansinnen, auf der Suche nach Chiuras »Mama Jana« der Tondubh-Glashütte einen Besuch abzustatten, rundheraus ablehnen würde. Oder daß er zumindest darauf bestehen würde, daß sie von einer kleinen Armee von Bediensteten und Leibwächtern des Hauses Li umringt auszog. Acorna hatte jedoch die Absicht, unangekündigt und mit Ausnahme von Pal unbegleitet zu gehen. Sie gab zu bedenken, daß eine große Gruppe den Aufseher der Glaswerke beinahe mit Gewißheit veranlassen würde, ihren Besuch wie eine behördliche Inspektion zu behandeln und alle Kinder zu verstecken.
»Ich denke, er wird das tun auf jeden Fall«, meinte Delszaki Li und zwinkerte Acorna mit den Augen zu, »aber wenn du wünschst es, geh mit nur Pal und einer weiteren Person.« Er drückte einen der Knöpfe auf dem Kommunikationsfeld seines Schwebestuhls.
»Einer?« setzte Pal schockiert an. »Aber das ist vollkommen ungenügend als Schutz – « Er hielt inne und holte beim Anblick der Frau, die in Beantwortung von Lis Knopfdruck erschienen war, einmal tief Luft.
»Ich denke, Sie werden zustimmen, Nadhari ist ausreichend für jeglichen Notfall«, entgegnete Li trocken.
Pal nickte sprachlos. Nadhari Kando war eine nahezu legendäre Gestalt im Haushalt Li. Gerüchte behaupteten, daß sie, bevor sie für das Haus Li zu arbeiten begonnen hatte, ein Mitglied der berüchtigten Roten Krieger von Kilumbemba gewesen war. Oder womöglich eine von Nereds Elite-Sturmtruppen befehligt hatte oder daß sie persönlich jene Befreiungsarmee geschaffen und angeführt hatte, die Anrath von seinen tyrannischen Herrschern befreit hatte. Der Logik nach konnte eine Frau, die nicht älter als dreißig aussah, zwar eigentlich unmöglich alle diese Dinge getan haben. Aber wann immer Pal Nadhari ansah, konnte er sich nicht entscheiden, welche Geschichten er als unglaubwürdig verwerfen sollte. Sie machte allemal den Eindruck, noch vor dem Frühstück alles drei davon vollbracht haben zu können. Was auch immer sie jedoch einst gewesen sein mochte, es hatte mit einem Zwischenfall geendet, dessen wahre Natur im Hause Li ebenfalls niemand kannte. Es hieß, man habe sie wegen einer grausamen Kampfhandlung unehrenhaft entlassen. Oder man habe sie ausgesandt, Delszaki Li zu ermorden, sie sei aber statt dessen dem Zauber seines einzigartigen persönlichen Charmes erlegen. Oder Li habe sie vor dem Erschießungskommando durch ein Schnellgericht der Kezdeter Friedenshüter gerettet.
Auch diese drei Geschichten schienen alle vollkommen im Bereich des Möglichen zu liegen.
Barfuß ein Meter achtundsechzig groß, schlank und so zäh wie ein Streifen geflochtenen Leders, war Nadhari Kando eine Expertin in dreierlei Messerkampfarten und sechs Arten waffenloser Kampftechniken – wobei sie im Rahmen ihrer Dienstpflichten aber derzeit nicht mehr oft Gelegenheit hatte, eine davon einzusetzen. Denn sie ging nirgendwo mehr hin, ohne mit einem hochmodernen Arsenal miniaturisierter Waffen ausgerüstet zu sein, die binnen Sekunden aus ihren dichten schwarzen Haarflechten, ihren hautengen, glänzend roten Stiefeln erscheinen konnten, oder… Pal schluckte und versuchte, nicht über die anderen Stellen nachzudenken, wo sie wahrscheinlich Waffen versteckte. Die Gerüchte besagten nämlich auch, daß Nadhari Gedanken lesen konnte. Und daß das der Grund wäre, warum sie immer ausgerechnet dort auftauchte, wo ihr Gegner sie nicht erwartete, gerade eben außer Reichweite seiner Schläge oder im Rücken seines Laserfeuers. Aber natürlich konnte niemand Gedanken lesen.
Das war nur eine abergläubische Geschichte.
Hoffte er.
»Es ist mir eine Ehre, Nadhari Kando als Begleitschutz dabeizuhaben«, erklärte Pal mit plötzlich ausgetrockneten Lippen. »Wenn… das heißt… falls Sie sicher sind, daß Sie sie entbehren können?« Nadharis Hauptaufgabe bestand darin, Delszaki Li bei allen öffentlichen Auftritten zu begleiten.
Li winkte mit seiner guten Hand ab. »Nadhari sich langweilt.
Gehe nicht oft genug aus oder treffe nicht oft genug auf
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