Das einsame Haus
Hände unwillkürlich zusammengepreßt und ließ sie erschrocken los.
»Anna! Wir waren blind wie die Maulwürfe! Wir haben gegraben und gegraben, immer im Dunkel, und wir haben das Nächstliegende nicht entdeckt! Als Möhnert starb, waren seine letzten Worte: Ich bin unschuldig. Wenn er es nun wirklich gewesen wäre? Wenn schon damals Buchinger seine Hände im Spiel gehabt hat? Wenn er dafür sorgte, daß Ihr Vater sich umbrachte, um Ihrer Mutter dann helfen zu können, um sie von sich abhängig zu machen?«
»Aber Walther Möhnert...«
»…war der einzige Mensch, der Ihre Mutter aufklären konnte, der in der Lage war, Buchingers Machenschaften aufzudecken. Deshalb hat Buchinger ihn umgebracht.«
»Das ergibt keinen Sinn, Herr Brenthuisen. Wenn er der Mörder wäre, wieso versucht er dann, den Verdacht auf meine Mutter zu lenken? Warum schießt er dann auf sie?«
»Die Zeiten haben sich geändert, Anna. Ihre Mutter war lange fort. Buchinger hielt sie in dem Glauben, er liebe sie nach wie vor. Und plötzlich taucht sie hier auf. Will eine Entscheidung herbeiführen, vielleicht ihren Mann rehabilitieren. Das paßte Buchinger natürlich nicht ins Programm, und stärker als seine Liebe war sein Wunsch, die Firma allein in die Hand zu bekommen. Für ihn war Ihre Mutter nur noch ein willkommenes Werkzeug.«
Anna schüttelte langsam den Kopf. Kaum verständlich sagte sie: »Ein schrecklicher Gedanke. Himmel, wann wird das enden?«
»Bald«, sagte ich. »Es wird bald ein Ende kommen, so oder so.«
Ich ging zu dem Nachttisch neben dem Bett, auf dem das Telefon stand, und rief Cornelia an. Man sagte mir, sie sei noch nicht im Geschäft erschienen. Was mochte das nun wieder bedeuten?
Eiskaltes Entsetzen kroch mir plötzlich den Rücken hoch. Wenn Buchinger sie geschnappt hatte...
»Anna, ich fange langsam an, durchzudrehen. Ich sehe Gespenster. Es gibt im Augenblick keinen Menschen auf der Welt, der ungeeigneter wäre, ein Verbrechen aufzuklären, als mich. Ich bin einfach am Ende. Fahren Sie nach Hause, oder fahren Sie in Ihr Büro — ich weiß nicht mehr weiter. Ich kann Ihnen und Ihrer Mutter nicht mehr helfen, weil ich glaube, daß ich selber bald Hilfe brauche.«
Sie stand langsam auf, stand dicht vor mir, so dicht, daß ich ihren Atem spürte. Ihre großen, grauen Augen waren auf mich gerichtet.
»Ich danke Ihnen, Herr Brenthuisen. Aber ich wußte, daß niemand uns helfen kann.« Und dann fuhr sie zögernd, beinahe schüchtern fort: »Eben das Gespräch — eine sehr schlechte Nachricht?«
»Verdammt schlecht. So schlecht wie nur irgend möglich. Cornelia, meine Verlobte, ist verschwunden.«
»Ja und? Da stehen Sie hier herum? Warum rufen Sie nicht sofort den Inspektor an?«
»Weiß nicht. Ich habe mein Pulver verschossen. Wenn ich jetzt Wendlandt anrufe, muß ich ihm alles sagen, was inzwischen geschehen ist. Das wäre mein Ruin.« Ich versuchte ein müdes Lächeln. »Können Sie verstehen, daß es einem jungen Mann, der bald heiraten wollte, schwerfällt, seine Pleite einzugestehen?«
»Das kann ich sehr gut verstehen, aber es geht doch jetzt gar nicht um Sie, sondern um Ihre Verlobte. Kann sie nicht... irgend etwas vorgehabt haben? Noch eine Besorgung? Oder Friseur?«
»Dann wüßte man es in ihrem Geschäft. Nein — gut, Sie haben recht. Ich werde Wendlandt anrufen.«
Schon hatte ich den Hörer in der Hand und die erste Nummer gewählt, als ich den Hörer wieder auflegte.
»Anna?«
»Ja?«
»Ich hatte zu dem, was ich getan habe, zwei Motive: einmal wollte ich einen spannenden Bericht für meine Zeitung, aber ich wollte auch Ihnen und Ihrer Mutter helfen. Ich werde jetzt einen Erpressungsversuch machen. Das ist nicht fein, aber jeder Mensch hat das Recht, sich an alles zu klammern, was ihm entgegenschwimmt, ehe er ertrinkt. Sind Sie bereit, mir zu helfen?«
Sie lächelte. Sie lächelte wirklich!
»Natürlich. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich... ich brauche noch etwas Zeit. Es gibt ein Gefühl, manche Leute halten nichts von Gefühlen, aber ich habe das Gefühl, als würde noch etwas passieren. Ich möchte das abwarten, und dazu brauche ich Zeit. Darf ich — darf ich Wendlandt im Notfall sagen, ich sei — heute nacht — hier bei Ihnen gewesen? Sie brauchen das nie zu bestätigen, ich müßte es nur sagen dürfen.«
Noch immer lächelte sie.
»Sagen Sie es ihm, Herr Brenthuisen.«
»Danke, Anna. Und Freddy wird nichts davon erfahren, er sitzt ja noch und... Verzeihung, ich wollte Sie
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