Das einsame Haus
Eisengeländer und schaute in die Tiefe. Die Isar war, wie immer, wenn lange kein Regen gefallen ist, seicht und klar, man konnte jeden Kieselstein von hier oben aus erkennen. Ein großer Brocken war dabei, von meinem Standpunkt aus hatte er die Form eines kleinen Hasen.
»Wo haben Sie sich heute nacht ‘rumgetrieben?« hörte ich Wendlandt neben mir sagen. Ich drehte mich langsam zu ihm um.
»Ist das für Sie so wichtig? Schließlich habe ich auch noch etwas wie ein Privatleben.«
»Also bei Cornelia. Gut. Ich werde...«
»Nicht bei Cornelia, Inspektor. Aber es wäre mir lieb, wenn Sie das für sich behalten könnten.«
»Ich bin vielleicht kein großes Licht, Brenthuisen, aber ich bin auch nicht so verblödet, wie Sie glauben. Warum wollen Sie unbedingt dieses Mädchen decken? Frau van Straaten konnte diese Morde nicht allein begehen. Sie brauchte unbedingt eine Hilfe dabei. Ihre Tochter natürlich. Drei Personen — außer mir — wissen das: die Mörderin selber, ihre Tochter Anna, und Freddy Möhnert. Freddy will natürlich seine Freundin decken. Anna ihre Mutter. Aber warum, zum Teufel, müssen Sie sich unbedingt die Finger dabei verbrennen? Mir tut Cornelia leid.«
Die Polizeifotos waren fertig, der Tatort untersucht, und die Sanitäter holten die Leiche weg. Eine Sekunde lang war ich versucht, Wendlandt alles zu sagen. Eine Sekunde lang sah ich keine Chance mehr für Antonia Paola: es gab keine andere Möglichkeit, nur sie konnte Buchinger getötet haben. In meiner Brieftasche lag Buchingers Nachricht: »...Antonia hat die Morde begangen, ich will versuchen, sie zu einem Geständnis zu bewegen. Wenn mir etwas zustoßen sollte...«
Das war mir einfach zu dick.
Vermutlich hatte ich laut gedacht, denn Wandlandt schaute mich überrascht an.
»Was ist Ihnen zu dick, Brenthuisen?«
»Cornelias Linsensuppe, Inspektor. Wir streiten immer, weil Cornelia sie so dick mag, daß der Löffel drin...«
»Reicht schon«, winkte er ab. »Sie waren also heute nacht mit Anna zusammen?«
»J — ja.«
»Aber nicht in ihrer Wohnung in Ottobrunn?«
»Natürlich nicht. Und außerdem ist nicht das passiert, was Sie vermuten. Ich habe mit ihr den ganzen Fall durchgesprochen, jedes Detail. Sie hat wirklich geglaubt, Freddy hätte seinen Vater getötet.«
Auf Wendlandts Gesicht erschien dieses satanische Grinsen, das ich so haßte.
»Und Anna hat natürlich keine Ahnung, daß ihre Mutter nicht mehr in Paris ist?«
»Doch, das weiß sie. Aber sie hat wirklich keine Ahnung, wo sich ihre Mutter aufhält. Und ich auch nicht, Inspektor.«
Wendlandt deutete auf die Kreidestriche, die auf den Holzplanken die Umrisse des Toten andeuteten.
»Jedenfalls ist sie vor etwa zwei Stunden hier gewesen. Wo diese Frau auftaucht, hinterläßt sie eine Leiche. Kommt das Foto dieser Frau heute in der Presse?«
»Natürlich.«
»Gut, wir werden sehen, ob wir Hinweise bekommen.«
Er tippte mit dem Zeigefinger an seinen Hut und ging dorthin, wo die Blaulichter der Polizeiwagen blinkten. Ich machte kehrt und schlenderte dem anderen Isarufer zu, wo mein Wagen stand.
Vor einiger Zeit hat man ein hohes Gitter über dem Geländer angebracht, um zu verhindern, daß Lebensmüde hinunterspringen.
Anna war überzeugt davon, daß ihre Mutter Walther Möhnert aus Rache getötet hatte. Wendlandt war ebenfalls davon überzeugt. Mußte ich es nun nicht endlich auch glauben?
Cornelia...
Ich rannte die letzten Meter zu meinem Wagen, ließ den Motor aufheulen und raste zur Post nach Großhesselohe. Von dort aus rief ich Cornelias Geschäft an.
Sie war noch nicht gekommen.
Ich rief in meiner Wohnung an. Niemand hob den Hörer ab.
Ich setzte mich in meinen Wagen und zündete mir eine Zigarette an. Meine Hände zitterten. Ich versuchte mir einzureden, sie sei zum Friseur gegangen oder habe sonst etwas Dringendes zu erledigen. Im gleichen Augenblick aber wußte ich, daß ich das nur glauben wollte. Es war Cornelia etwas zugestoßen.
Und jede Sekunde, die ich jetzt noch zögerte, machte mich zum Mitschuldigen. Wenn ich nicht schon längst mitschuldig war...
Eine halbe Stunde später suchte ich mir einen Parkplatz vor dem Polizeipräsidium. Inspektor Wendlandt war im Labor. Als ich eintrat, streckte er mir die flache Hand entgegen, auf der eine kleine Kugel lag.
»Die gleiche, die wir bei Vera Möhnert gefunden haben. Aus der gleichen kleinen Pistole. So laienhaft kann nur eine Frau sein. Ist Ihnen nicht gut? Sie sehen so blaß aus.«
»Mir ist...
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