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Das einzige Kind

Das einzige Kind

Titel: Das einzige Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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an deine Professorin denke! Da war ich total eifersüchtig.«
    Im Zwielicht konnte Cecilie sehen, wie Hannes Profil sich gegen die blaugestreifte Tapete abzeichnete, und sie ließ ihren Zeigefinger über Hannes Stirn und Nase wandern, bis er ihren Mund erreichte und einen Kuß bekam.
    »Heißt das, daß du schon mal verliebt gewesen bist?«
    »Jetzt reden wir über dich«, erklärte Hanne. »Warst du schon mal in einen Jungen verliebt? In einen Mann?«
    Cecilie setzte sich auf und wickelte sich in ihre Decke.
    »Was soll das hier eigentlich?«
    »Ach, einfach so. Nur eine Frage. Also, warst du?«
    »Nein. Ich war in meinem ganzen Leben noch nicht in einen Jungen verliebt. Ich hab mir das höchstens mal eingebildet, als Teenie, aber da war ich wohl eher in die Vorstellung verliebt.
    Denn die Alternative hat mir eine Höllenangst eingejagt.«
    Hanne hatte die Decke halb weggeschoben und die Hände unter dem Kopf verschränkt. Ihr ganzer Oberkörper, ihre halbe Hüfte und ein Bein waren nackt. Ihre Brüste starrten ins Zimmer hinein, und direkt über ihrem Nabel konnte Cecilie eine Ader sehen, die ruhig und gleichmäßig pochte.
    »Aber spürst du denn nie ein ganz besonderes … eine Art Wohlbehagen, wenn du einen Mann triffst, den du magst? So ein gutes Gefühl, das dich dazu bringt, daß du immer mit ihm Zusammensein und lustige Dinge machen willst, quatschen, spielen. Sachen, die so ähnlich sind wie das, wozu wir Lust haben, wenn wir verliebt sind?«
    »Doch. Manchmal schon. Aber so kannst du Verliebtheit nicht beschreiben. Weißt du nicht mehr, wie das war, Hanne?« Sie 156
    legte vorsichtig ihre Hand auf die leise pulsierende Stelle auf dem Bauch ihrer Freundin.
    »Dann hast du doch zu sehr viel mehr Lust!«
    Hanne drehte sich um und betrachtete sie ernst. Die Scheinwerfer eines Autos zeichneten ein Muster an die Decke, und im huschenden Lichtschein sah Cecilie eine verzweifelte Miene, die sie nicht so recht zu deuten vermochte.
    »Du darfst mich nie, nie verlassen!« Hanne schmiegte sich dicht an sie, lag fast schon auf ihr, und sagte es noch einmal:
    »Du darfst mich nie verlassen. Nie, nie, nie!«
    »Nie in der ganzen Welt und dem Universum und der
    Ewigkeit«, flüsterte Cecilie in ihre Haare.
    Es war ein altes Ritual. Aber sie hatten es schon seit Ewigkeiten nicht mehr vollzogen. Cecilie wußte, was dahinterstand.
    Das Seltsame war, daß sie sich nicht im geringsten bedroht fühlte.
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    Obwohl es erst Billy T.s achter Arbeitstag in seinem neuen Dasein als Ermittler war, sah sein Büro bereits aus wie ein Schweinestall. Überall lag Papier herum; wichtige Dokumente, Kritzeleien, alte Zeitungen. Neben der Tür sammelten sich die leeren Colaflaschen, und jedesmal, wenn jemand die Tür öffnete, fielen mindestens drei davon um. Über der Tür hing ein winzig kleiner Basketballkorb, auf dem Boden lagen zwei orangefarbene Bälle aus Schaumgummi. Außerdem hatte er eine Pinnwand aufgehängt, genau gegenüber von seinem
    Schreibtisch. Daran hatte er Schnappschüsse seiner vier Söhne geheftet. Ansonsten fehlte es in diesem Zimmer an jeglichem Gegenstand, der auch nur einen Hauch von Gemütlichkeit hätte erzeugen können. Und die Fenster waren schmutzig. Aber daran war Billy T. nun wirklich nicht schuld.
    »Ich kapiere nicht, was wir hier machen«, sagte er resigniert zu Hanne Wilhelmsen, die es wie durch ein Wunder schaffte, weder Flaschen umzustoßen noch irgend etwas anderes zu zertreten, ehe sie Platz nahm. »Ist der Fall jetzt aufgeklärt, oder was? Ziemlicher Schuß in den Ofen, würde ich sagen. Schlicht und einfach und öde. Geschiedener Mann in Geldnöten greift in die Kasse, wird erwischt, bringt seine Chefin um und schlitzt sich danach aus lauter Reue und Verzweiflung die Pulsadern auf.«
    Genau das hätte auch Hanne sagen können. Schuß in den Ofen. Maren Kalsvik hatte an diesem Morgen alles erzählt.
    Schuldbewußt und unglücklich hatte sie von den
    Unterschlagungen ihres verstorbenen Kollegen erzählt. Sie selbst hatte das vor Weihnachten entdeckt und ihm unter der Bedingung Schweigen versprochen, daß er bis Ostern alles wieder in Ordnung brächte. Er sollte das Geld zurückerstatten.
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    Agnes hatte es gewußt. Nein, Maren hatte mit der Heimleiterin nicht darüber gesprochen, sie hatte aus deren Verhalten schließen können, daß sie dahintergekommen war. Terje hatte zugegeben, daß er in Agnes’ Büro gewesen war. Er habe nur bestimmte Papiere gesucht, hatte er behauptet. Aber er hatte sie

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