Das einzige Kind
waren noch schlimmer geworden.
Aber zumindest hatte er keinen Hunger.
Am schönsten wäre es ja gewesen, wenn seine Mutter ihm hätte helfen können. Und am richtigsten. Sie hatte ja recht, wenn sie immer sagte: Wir gehören zusammen.
Aber sie kriegte doch nichts geregelt. Und das hier war auf jeden Fall zuviel für sie. Er wußte nicht so recht, was zuviel für sie war, wenn er genauer darüber nachdachte, aber es mußte etwas geschehen. Und von seiner Mutter war nichts zu erwarten.
Da blieb nur noch eine. Maren. Sie hatte ihm wirklich geholfen. Sie hatte es ganz deutlich gesagt: Wenn er je Probleme hatte, dann sollte er zu ihr kommen.
Benebelt und erschöpft überlegte er sich, wie er zu Maren finden sollte.
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Um ein Haar wären sie vor dem Personaleingang
zusammengestoßen. Beide hatten ihre Autos ausgesprochen verboten und als klare Behinderung für die Dienstwagen hingestellt, die zu den Zapfsäulen der Osloer Polizei wollten.
»Wo zum Teufel hast du dich denn rumgetrieben?« fragte Billy T., aber Hanne Wilhelmsen sah ihm an, daß er eher gut gelaunt als wütend war.
»Ich weiß jetzt, wen wir suchen«, sagte Hanne.
»Ich auch«, sagte Billy T.
Sie blieben stehen.
»Warum habe ich das Gefühl, daß es sich nicht um dieselbe Person handelt?« fragte Hanne leise.
»Weil es vermutlich so ist«, sagte Billy T. ebenso leise.
Dann schwiegen sie, bis sie in Hannes Büro saßen.
»Du zuerst«, sagte Hanne und nahm einen Schluck aus einer alten Colaflasche.
Sie schnitt eine Grimasse und stellte die Flasche weg.
»Der Liebhaber«, sagte Billy T. vorsichtig und griff nach der Cola.
»Ich warne dich. Die ist uralt.« Sie zeigte auf die halbleere Flasche. »Wieso glaubst du, daß es der Liebhaber war?«
Als er es ihr erklärt hatte, verstummte sie. Dann steckte sie sich eine Zigarette an. Sie brauchte sieben Minuten, um über diese neue Information nachzudenken. Billy T. ließ sie in Ruhe.
»Hol ihn so schnell wie möglich her«, sagte sie dann.
»Sofort.«
»Yessss!« sagte er triumphierend und schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Aber laß dir erst einen blauen Zettel ausschreiben. Wegen Betrugs. Und Scheckfälschung. Und Diebstahls.«
»Nicht wegen Mordes?«
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Sie schüttelte fast unmerklich den Kopf.
»Aber verdammt, Hanne, weshalb nicht wegen Mordes?«
»Weil er es nicht war.«
Sie erhob sich und griff zu einem Gesetzbuch. Stehend blätterte sie bis zum Strafgesetz vor. Sie wußte nicht mehr genau, ob es sich beim Diebstahl eines Scheckbuches um groben oder einfachen Diebstahl handelte.
»Wer zum Teufel soll es denn sonst gewesen sein?« Jetzt brüllte er fast und breitete dabei die Arme aus. »Wen halten Ihre Hoheit Hanne Wilhelmsen also für den Sünder? Oder ist das ein Geheimnis, das Majestät für sich behalten wollen?«
»Maren Kalsvik«, sagte Hanne ruhig. »Es war Maren
Kalsvik.«
Ehe sie ihre Behauptung begründen konnte, wurde an die Tür geklopft. Billy T. riß sie auf.
»Was ist denn jetzt schon wieder?« blaffte er Tone-Marit an.
»Weitere Neuigkeiten. Das hier.«
Sie schlüpfte unter Billy T.s Arm hindurch und ging zur Hauptkommissarin.
»Schau mal, Hanne«, sagte sie und reichte ihr ein Blatt Papier.
Es war die Kopie eines Ehevertrags. Unterzeichnet von Agnes und Odd Vestavik.
»Odd Vestavik hat nicht die ganze Wahrheit erzählt«, sagte Tone-Marit. »Dieser Vertrag ist zwei Tage vor dem Mord beim Notar hinterlegt worden. Er war allerdings noch nicht aktenkundig.«
»Und was bedeutet das?« fragte Billy T. ungeduldig und versuchte, das Papier an sich zu reißen. Hanne aber war noch nicht mit Lesen fertig und wollte es deshalb nicht hergeben.
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»Das bedeutet, daß die Gütertrennung aufgehoben wird. Was in der Praxis heißt, daß er alles erbt und damit machen kann, was er will. Jetzt gehört alles ihm.«
»Himmel und Ozean«, sagte Hanne und schaute Tone-Marit an. »Wie habt ihr das bloß alles herausfinden können?
Scheckfälschung, Papiere, Eheverträge und weiß Gott, was sonst noch alles … jetzt versuchen wir seit zwei Wochen verzweifelt, Motive und Möglichkeiten zu finden, und dann fällt uns das alles an einem einzigen Tag in den Schoß.«
»Wir teilen uns unsere Zeit eben ein«, sagte Tone-Marit und schaute Hanne in die Augen. »Denn wir haben leider eine Hauptkommissarin, die sich nicht die Mühe macht, ihre Hilfstruppen richtig anzuleiten. Also tun wir unser Bestes, Erik und ich.«
Es war durchaus kein feindseliger Blick. Er war nicht
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