Das Ekel von Säffle
Kanal.
Das Wohnviertel, das im großen und ganzen gleich geblieben ist, seit es gegen Ende der dreißiger Jahre erbaut wurde, blieb dank seiner Lage vom Durchgangsverkehr verschont. Reimersholme ist eine ziemlich kleine Insel, nur eine einzige Brücke führt dorthin, und die Bebauung ist weitläufig und offen. Ein Drittel der Insel ist mit der alten Schnapsbrennerei und anderen alten Speichern und kleinen Fabriken bebaut. Zwischen den Mietshäusern ist viel Platz für Pflanzen und Grünflächen, und der Strand entlang Längholmsviken wurde in seiner natürlichen Form belassen. Dort gibt es Erlen, Zitterpappeln und Trauerweiden, die dicht an dicht bis ans Wasser stehen.
Erster Polizeiassistent Hult wohnte allein in einer Zwei-Zimmer-Wohnung im ersten Stock. Alles in diesen Räumen war blitzsauber und ordent lich und auf seine Art so penibel, daß es beinahe desolat wirkte. So als ob niemand darin wohnt, dachte Martin Beck.
Der Mann schien um die sechzig zu sein; ein großer, schwerer Kerl mit kräftigem Kinn und ausdruckslosen grauen Augen.
Sie saßen an einem niedrigen gefirnißten Tisch am Fenster. Die Tischplatte war leer, auch auf dem Fensterbrett stand nicht ein einziger Gegenstand. Überhaupt war nichts von den üblichen persönlichen Dingen zu sehen. Zum Beispiel gab es offenbar kein Stück Papier in diesem Haushalt, nicht mal eine Zeitung, und die einzigen Bücher, die Martin Beck entdeckte, waren die drei Bände des Telefonbuchs, die exakt ausgerichtet auf einem kleinen Standardregal in der Diele lagen.
Martin Beck knöpfte seine Jacke auf und zog den Schlips zurecht. Dann nahm er das Florida-Päckchen und eine Streichholzschachtel aus der Tasche und blickte sich nach einem Aschenbecher um.
Hult bemerkte das und sagte: »Ich bin Nichtraucher und hab nie einen Aschenbecher besessen.« Er holte eine weiße Untertasse aus dem Küchenschrank. Ehe er sich wieder setzte, fragte er:
»Darf ich dir was anbieten? Ich hab schon Kaffee getrunken, aber ich kann noch mal aufbrühen.« Martin Beck schüttelte den Kopf. Er bemerkte, daß Hult bei der Anrede gezögert hatte und offenbar nicht sicher war, ob er den Chef von Riks mordkommissionen duzen sollte. Das zeigte, daß er ein Mann der alten Schule war, in der Untertanengeist und Drill selbstverständlich gewesen waren. Obwohl Hult seinen freien Tag hatte, trug er eine Uniformhose, ein hellblaues Hemd und eine Krawatte.
»Hast du heute nicht frei?« fragte Martin Beck.
»Ich hab meistens die Uniform an«, entgegnete Hult ohne Betonung. »Fühl mich so am wohlsten.«
»Du hast `ne schöne Wohnung.« Martin Beck blickte aus dem Fenster. »Ja. Stimmt wohl. Aber es ist ziemlich einsam hier.« Er legte seine großen, fleischigen Hände vor sich auf den Tisch, so als ob es zwei schwere Hämmer waren, und stierte darauf. »Ich bin Witwer. Meine Frau ist vor drei Jahren gestorben. Krebs. Seitdem ist es hier langweilig.« Hult rauchte und trank nicht. Sicher las er niemals ein Buch und wahrscheinlich auch keine Zeitungen. Martin Beck konnte sich vorstellen, wie er uninteressiert vor dem Fernseher hockte, während es draußen dunkel wurde.
»Was ist nun eigentlich los?«
»Stig Nyman ist tot.« Keine Reaktion. Der Mann blickte seinen Besucher ausdruckslos an. »So, so.«
»Du hast das wohl schon gewußt?«
»Nein. Aber damit war zu rechnen. Stig war krank. Sein Körper hat ihn im Stich gelassen.« Er sah sich wieder seine kräftigen Fäuste an, so als ob er sich im stillen fragte, wie lange es dauern würde, bis sein eigener Körper ihn verraten würde. Dann fragte er: »Kanntest du Stig?«
»Nicht näher. Ungefähr so wie ich dich kenne.«
»Das ist nicht viel. Wir sind uns doch nur wenige Male begegnet, Sie und ich.« Er verbesserte sofort: »Du und ich.« Und gleich darauf: »Ich bin immer bei der Ordnungspolizei gewesen. Hab nicht viele Möglichkeiten gehabt, Kollegen von der Kriminalpolizei zu treffen.«
»Aber dafür hast du Nyman um so besser gekannt, nicht wahr?«
»Ja, wir haben viele Jahre zusammengearbeitet.«
»Und was kannst du über ihn sagen?«
»Er war ein ausgezeichneter Mann.«
»Ich hab das Gegenteil gehört.«
»Von wem denn?«
»Von verschiedenen Seiten.«
»Dann hat man dich falsch informiert. Stig Nyman war ein sehr guter Mann. Mehr kann ich nicht sagen.«
»O doch, ein bißchen mehr weißt du doch sicher über ihn.«
»Nein. Was sollte das denn sein?«
»Du weißt genau, daß er von vielen kritisiert wurde, daß es Leute gibt,
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