Das Elbmonster (German Edition)
nächste folgte gleich darauf. Es ergab sich nämlich, dass wir während der dreißigminütigen Pause im Foyer des Stadttheaters einen kleinen Imbiss zu uns nahmen und dabei sicher rein zufällig in unmittelbarer Nachbarschaft an zwei winzigen, runden Tischen standen. Hiervon wurde kurzfristig eigens für den Zweck der schnellen leiblichen Versorgung aller Gäste eine große Zahl aufgestellt, weil die zehn Vierertische im Café dafür natürlich nicht reichten. Und hilfsbereite Mädchen tänzelten in adretter Kleidung mit ihren reichlich beladenen Tabletts flott umher, denn anschließend war noch ein Kulturprogramm im Festsaal vorgesehen.
Der frisch gekürte Ehrenbürger befand sich in direkter Gesellschaft mit den höchsten Repräsentanten dieser Region, Thomas Pohlack und Renate Koch, unsere anerkannte Landrätin (eine hervorragende Anwältin hiesiger Belange, inzwischen pensioniert). Nebenbei bemerkt, empfinde ich schon allein die Tatsache, dass Ämter, wo doch üblicherweise Männer anzutreffen sind, zum Beispiel im Reigen der Aufsichtsräte, selbstverständlich ebenso gut von Frauen bekleidet werden können, nicht nur beachtenswert, sondern im hohen Maße wohltuend. Warum ist das hierzulande immer noch beinahe eine Ausnahme, obzwar wir unentwegt von Gleichberechtigung beider Geschlechter schwafeln? In Norwegen funktioniert das vergleichsweise viel besser als bei uns, weil man von staatlicher Seite konsequenter darauf achtet. Überdies wird in deutschen Gefilden derzeit (2013!) auch die Arbeit der Herren um gut zwanzig Prozent höher bezahlt als bei der holden Weiblichkeit. Ist das etwa gerecht? Es stinkt wohl eher zum Himmel!
Doch so interessant das Thema auch sein mag, wir sollten uns jetzt nicht weiter ablenken lassen! Das Ehepaar, mit dem ich gemeinsam am Minitisch stand und meinen Snack verzehrte, wozu auch für jeden Gast ein Gläschen Sekt gereicht wurde, bemühte sich höflich, mich in eine Unterhaltung einzubeziehen. Offenbar spürte es sofort, dass ich mich nur beiläufig daran beteiligte, und es zeigte sich mir gegenüber bald zunehmend verhaltener.
Mich bewegte vielmehr die beängstigende Frage, was im Innersten meines langjährigen Freundes wirklich vorgeht. Daher versuchte ich, ihn möglichst unauffällig zu beobachten, was mir aber nur bedingt gelang, denn ich war wegen der vorangegangenen Erlebnisse nach wie vor beträchtlich aufgewühlt und deshalb kaum dazu fähig, meine Gedanken einigermaßen zu ordnen.
Zunächst unterhielt sich der misstrauisch Belauerte anscheinend noch recht locker mit seinen Gesprächspartnern, die ihr Glas auch auf sein persönliches Wohlergehen erhoben. Als er jedoch seinen Blick unvermittelt zu mir wandte, bemerkte ich eine fast abrupte Veränderung in seinem Antlitz. Bereits nach wenigen Sekunden schien seine Miene vollkommen regungslos zu sein, als habe sie urplötzlich eine Starre erfasst. Dazu verfärbte sich das Gesicht derart grau, dass sich mir unversehens der bildhafte Vergleich aufdrängte, es wäre soeben aus Beton gegossen worden, der sich sofort verfestigte. Auch der Strahlenkranz in seinen Augenwinkeln, welcher mir sonst als Ausdruck von Heiterkeit und fröhlichen Lachfältchen hinlänglich vertraut war, wirkte auf einmal ungewohnt versteinert.
Wahrscheinlich löste dieser Moment des schier unbegreiflichen Geschehens in uns beiden eine abgrundtiefe Betroffenheit aus, denn wir ahnten voneinander etwas wahnsinnig Schreckliches, das uns künftig gleichsam ein Leben zwischen fürchterlichem Bangen und zaghaftem Hoffen bescheren würde.
Doch was passiert, wenn wir irren, die Situation einfach falsch einschätzen und uns damit selbst die Schlinge um den Hals legen?
15
Erster Sonntag im Frühlingsmonat März 2001.
General Winter ist tatsächlich wieder zurückgekehrt und hat die Landschaft in unserer Gegend mit einer glanzvollen weißen Pracht überschüttet. Meteorologen sehen ihre Vorhersage angenehm bestätigt, und Kinder sind überglücklich, nochmals ihren Schlitten herauszuholen, um sich bei frischer und wohltuend sauberer Luft draußen im Schnee auszutoben. Das bereitet ihnen in vertrauter Gemeinschaft mit anderen, darunter Erwachsenen, am meisten Freude. Es ist ja auch sichtlich besser, weil ihrer Gesundheit und Entwicklung dienlicher, als vergleichsweise stundenlang vor ihren Computern oder Fernsehgeräten zu sitzen. Überhaupt fällt hier auf, dass weit mehr Leute als gewohnt einen sonntäglichen Spaziergang
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