Das Elbmonster (German Edition)
und in der Wirtschaft mithalfen. Zudem war die Familie außerordentlich kinderlieb, auch wenn sie selbst nur auf einen Sohn verweisen konnte, das allerdings beständig mit sichtlichem Stolz. Es hieß, der Ehemann hätte infolge eines speziellen Unfalls keinen weiteren Nachwuchs zeugen können.
Jedenfalls gingen wir Kinder dorthin besonders gern zu Besuch, vielleicht eigens deshalb, weil die ausnehmend freundliche Hausfrau ihren Gästen stets ein beachtliches Stück Kuchen sowie einen Becher mit frischer Kuhmilch verabreichte. Wahrlich jederzeit ein Hochgenuss! An den herrlichen Schmaus erinnere ich mich heute noch voller Dankbarkeit.
Nicht anders begann für mich jener denkwürdige Nachmittag gegen Ende des Monats September vom Jahre 1944, den ich gewiss niemals vergessen werde.
Nachdem mein Bruder und ich sowie der etwas ältere und sichtlich kräftige Bursche des Hauses unseren Appetit gestillt hatten, ging es hinaus in die freie Natur (die Mutter blieb natürlich zum Schwätzchen bei den erwachsenen Gastgebern). Doch weit kamen wir nicht, denn hinter den Stallungen befand sich eine Jauchenmulde, ähnlich einem kleinen Teich, an deren Umrandung mehrere Jugendliche standen und mit langen Weidengerten ziemlich erhitzt in der Gülle herumstocherten. Mit großem Erstaunen nahmen wir sogleich wahr, dass es in der stinkenden Brühe vor Ratten nur so wimmelte. Selbstredend hielt auch uns das bizarre Naturschauspiel augenblicklich gefangen, zumal die aufgescheuchten Tiere wild umherirrten, sich dabei oftmals unsichtbar machten und an anderer Stelle wieder auftauchten oder vereinzelt sogar erfolgreich flüchteten. Es waren faszinierende Szenen, die uns zwangsläufig in ihren Bann zogen.
Derweil muss es einen verwegenen Jüngling, welcher sich ganz in meiner Nähe aufhielt, enorm gereizt haben, mir von hinten einen kräftigen Schubs zu verpassen. Und schon befand ich mich in der schwarzgrauen, ekelhaft riechenden Masse; oben dünnflüssig, nach unten zunehmend dickbreiig, wie ich sofort zu spüren bekam. Auch war das Becken viel tiefer, als man vorher schätzen konnte.
Ich gelangte zwar relativ schnell wieder an die Oberfläche, paddelte jedoch wie ein entsetzlich verängstigter Hund in Richtung des anderen Ufers, statt mich gezielt dorthin zu bewegen, wo ich zuvor stand. Die Entfernung wäre ja viel kürzer gewesen. Anscheinend trieb mich die Furcht, der Unhold könne mich wieder zurückstoßen, instinktiv weg von ihm. Indessen verließen mich bald darauf sämtliche Kräfte, und ich versank vollends in der abscheulichen Jauche. Vermutlich haben giftige Dämpfe, die ich fortan unmittelbar einatmete, mir dabei noch den Rest gegeben.
Im Nachhinein erfuhr ich, dass sich zuerst mein Bruder heldenhaft in die Gülle stürzte, um mich zu retten. Doch allein schaffte er es nicht. Hierauf sprang der Sohn unserer Gastgeber beherzt hinterher, und vereint konnten sie mich bergen.
Inzwischen war ich längst weggetreten, absolut ohnmächtig, dem Tode so nahe wie nie zuvor. Die herbeieilenden Erwachsenen hätten mich schließlich wieder ins Diesseits geholt, indem sie mich anfangs an den Beinen hochhoben, damit die Jauche aus meinem Magen abfloss. Allzu viel wird es nicht gewesen sein, was ich von dem widerlichen Zeug notgedrungen schluckte, denn ich hatte ja kurz zuvor reichlich Speis und Trank zu mir genommen. Wegen meiner totalen Bewusstlosigkeit merkte ich sowieso nichts von jener Prozedur, worauf rasch Wiederbelebungsversuche mit dem krönenden Resultat folgten, dass ich mich seither abermals am Zauber irdischen Daseins erfreuen darf.
Nachdem wir drei Burschen einigermaßen gereinigt waren, erhielten mein Bruder und ich je eine Decke, damit wir uns aufwärmen und zugleich die Blöße verhüllen konnten. Anschließend fuhr uns der Gastgeber mit seinem Ochsenkarren persönlich nach Hause. Einen Knecht wollte er damit offenbar nicht beauftragen.
Schon am nächsten Tag machte das makabre Geschehen die Dorfrunde.
Als ich am folgenden Mittwoch wieder frisch und munter auf dem Schulhof erschien, wo sich bei günstigem Wetter nahezu alle Schüler vor Unterrichtsbeginn regelmäßig trafen, verhielten sich die meisten Jungen und Mädchen mir gegenüber recht seltsam. Einige blickten mich fast ungläubig an, als wäre ich ein leibhaftiges Gespenst. Andere wiederum hielten gebührend Abstand, darunter auch der Bösewicht. Er hätte sich wohl vor lauter Scham und Reue am liebsten ganz verkrochen (seine Freveltat habe ich
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