Das Elbmonster (German Edition)
Kriechtier aus der Familie der Boas, von der es ja wiederum über fünfzig Untergruppen gibt, vornweg die Spezies der Anakondas und Pythons.
Ergo, wie dem auch sei, es wurde durch menschlichen Willen eine Hybride gezeugt, die namentlich ihre Schöpfer schon bald in Furcht und Schrecken versetzte, weil sie deren Entwicklung nicht mehr beherrschten. Goethes „Zauberlehrling“ lässt grüßen: „Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los.“
Für die beiden Turteltäubchen am Magdeburger Elbufer muss es jedenfalls ein grauenvoller Vorfall gewesen sein, als das widernatürliche Scheusal plötzlich aus den Fluten auftauchte, denn sie verließen in Todesangst und panischer Eile ihren Kuschelplatz. Eine unerhörte Neuigkeit ward geboren, die sich in Windeseile ausbreitete. Daraufhin wurde sogar eine Sonderkommission gebildet, um zu ergründen, was denn an der Schauergeschichte dran sei, zumal es keine weiteren Zeugen für das höchst mysteriöse Geschehnis gab.
Monate vergingen, ohne ein nennenswertes Resultat für die fieberhaft suchenden Ermittler verbuchen zu können. Lediglich die abenteuerlichsten Theorien erblickten zuhauf das Licht der Welt. Dann aber wurde die Begebenheit publik, dass unweit der Lutherstadt Wittenberg zwei Schafe spurlos abhandenkamen, die in einer Herde auf den saftigen Elbwiesen weideten. Neue Gerüchte machten ihre Runde, mittendrin die Befürchtung, jene rätselhafte Kreatur habe womöglich zugeschlagen. Es könnten aber auch skrupellose Diebe oder vielleicht sogar umherstreifende Wölfe gewesen sein, die ihr Unwesen trieben, lauteten andere Spekulationen. Die meisten Argumente sprachen jedoch für das Elbmonster, weil sich der Vorfall direkt am Gestade des Flusses zutrug. Und tatsächlich blieb nur vier Tage danach stromaufwärts ein Pferd auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Die aufsehenerregende Begebenheit ereignete sich unweit von Riesa und wirkte sehr nachhaltig.
Die größte Sensation folgte indessen während der äußerst tragischen Hochwasserkatastrophe Mitte August 2002. Sie forderte allein in Sachsen 21 Menschenleben. Und das 22. Opfer holte sich dem Vernehmen nach das besagte Ungeheuer in meiner geliebten Heimatstadt Meißen, und zwar direkt vom Fußgängerweg der Eisenbahnbrücke.
Die Leute hatten ja wahrlich mehr als genug Sorgen wegen der verheerenden Fluten, deren tosende Gewalten vielen Betroffenen den Atem stocken ließen. Zudem spukte bereits seit genau zwei Jahren das „Phantom des Grauens“ in unseren Köpfen, ein äußerst mysteriöses Wesen, dem schon mehrere unergründliche Todesfälle zugeschrieben wurden. Und niemand ahnte, dass sich deren Aufklärung extrem lange hinziehen würde, obwohl die meisten Ortsansässigen furchtbar darunter litten.
Da fehlte gerade noch die Schreckensmeldung von einem weiteren unseligen Ereignis am helllichten Tage, das sich wie folgt zugetragen haben soll:
Zwei Männer liefen gemächlich über die Elbbrücke in Richtung Altstadt. Sie nahmen sich viel Zeit, blieben des Öfteren minutenlang stehen und ließen ihre Blicke schweifen, um die Ausdehnung der Flutkatastrophe einigermaßen zu erfassen. Deren Intensität und Reichweite blieben jedoch unüberschaubar. Erhebliche Teile der Ortschaft und ihres Hinterlandes waren von den Wassermassen überschwemmt.
Während die beiden also langsam über die Brücke zogen, kam ihnen von der anderen Seite ein Herr mit ziemlich flotten Schritten entgegen. Dann verharrte er jählings, und die drei Männer standen sich laut Beobachtung eines Zuschauers dicht gegenüber. Es ist anzunehmen, dass sie ein Gespräch miteinander beginnen wollten.
Doch im selben Augenblick sprang angeblich das Elbmonster blitzschnell aus den tosenden Wogen heraus, und es soll einen der Fußgänger von Kopf bis Fuß in seinem kolossalen Rachen verschlungen haben. Gleichzeitig rauschte ein Personenzug über die Brücke. Weitere Passanten waren nicht auszumachen.
Diese schauderhafte Szene ereignete sich laut Behauptung eines Augenzeugen am 15. August 2002. Es war ein Donnerstag. Noch am selben Abend wurde infolge der sinnflutartig steigenden Wassermassen die Eisenbahnbrücke für den Fußgängerverkehr gesperrt. Unsere damalige Landrätin, Frau Renate Koch, hatte sogar die Idee, die aus 1.310 Tonnen Stahl erbaute und 256 Meter lange Fachwerk-Gigantin eventuell sprengen zu lassen, um der Gefahr zu entgehen, dass sie den unermesslichen Fluten sowie dem mitgeführten Schwemmgut nicht standhält und einstürzt,
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